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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0010
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10

Gerhard Ritter:

neuen Magister etwas hastig zu: Innocenz VI. war soeben in Avig-
non gestorben, und die Universität beeilte sich, einen rotulus inner-
halb von acht Tagen fertigzustellen. Da drängten sich die Magi-
stranden um Zulassung und Antrittsvorlesung, um so einen Platz
auf der großen Supplik zu erlangen, die den Akademikern die
heißbegehrten Pfründen in lockende, wenn auch unsichere Aus-
sicht stellte1. Auswärts wohnende ältere Graduierte strömten her-
bei und stritten mit den jüngsten Kollegen um die besseren Plätze
auf dem rotulus. Um möglichst zahlreichen Genossen die Beteili-
gung zu ermöglichen, beschloß die Artistenfakultät erhebliche
Erleichterungen bei der Magisteraufnahme; selbst die determinatio
als Bakkalar wurde in einigen Fällen erlassen. So beteiligte sich
Marsilius gleich mit sieben anderen Magistranden an diesem Wett-
rennen; nur für einen Teil von ihnen läßt sich der Erwerb des
niederen Grades in Paris nach weisen; freilich sind die Akten keines-
wegs vollständig geführt und erhalten.
Es ist nicht leicht, sich von der geistigen Atmosphäre des
engeren Kreises ein Bild zu machen, in den Marsilius nun eintrat;
denn die Mehrzahl dieser Landsleute vom Niederrhein, die Jordanus
und Thomas de Clivis, Wilhelmus Wadenaue, Henricus de Thenis
u. a. m. haben in der Geschichte der Logik keinerlei erkennbare
Spuren hinterlassen. Die natio Anglicana befand sich damals in
schnellem Rückgang. Seit die Engländer sich auf ihre eigenen
Bildungsstätten zurückgezogen hatten und im Osten die Prager
Hochschule vielen Zuzug ablenkte, war sie, die einst den Welt-
ruhm der Pariser Hochschule am weitesten über Frankreich hinaus-
getragen hatte, in der Hauptsache auf ihre deutschen Mitglieder
mit einigem schottischen, nord- und osteuropäischen Anhang
zusammengeschrumpft. Aber auch die Pariser Philosophie stand
nicht mehr ganz auf der Höhe ihrer großen Zeit. Der gewaltige
Anstoß, den die revolutionären Ideen Wilhelm von Okkams dem
gesamten abendländischen Denken in der ersten Hälfte des Jahr-
hunderts gegeben hatten, wirkte freilich noch mächtig nach. Die
Verbote des Papstes und der Universität hatten zwar die radikal-
sten Ideen, wie die des Nikolaus von Autrecourt, aus der akade-
mischen Tradition ausschließen, aber nicht das Entstehen jener
glänzenden okkamistischen Schule hindern können, deren geschicht-
liche Bedeutung wir erst seit den letzten Jahrzehnten zu erfassen

1 Vgl. hierzu: Auct. I, 271 — 4 passim und Register.
 
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