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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0101
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Studien zur Spätscholastik. I.

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bildet hatte, im Gegensatz zu der üblichen Auffassung der Erd-
verschiebungen, wie sie Averroes und Albertus Magnus über-
lieferten. Von den italienischen Averroisten des 15. Jahrhunderts
viel bekämpft, wirkte sie im 16. stark auf Lionardo da Vinci und
seine Nachfolger ein, und zwar vermutlich auch gerade in der Fas-
sung des Marsilius von Inghen1. Die Erosion, so erklärt Albert,
sucht die Berge zu nivellieren. Die Folge müßte eine Ausbreitung
der Meere über die „unbedeckten“ Teile des Erdballs sein, wenn
dem nicht eine beständige langsame Hebung der festen Erdmassen
entgegenwirkte. Sie wird hervorgerufen durch eine andauernde
Verschiebung des Schwergewichtszentrums. Diese wiederum hat
nach Marsilius zur Ursache eine wechselnde Verdünnung der Erd-
massen infolge der Sonnenbestrahlung, Ausdünstungs- oder Ver-
dunstungsvorgänge2, und (nach Albert) wiederum eben die
Erosion, die dazu beitragen, daß beständig das Gleichgewicht der
beiden Erdhälften gestört wird und durch innere Umbildungen
des Erdkörpers wiederhergestellt werden muß3.
Doch kehren wir zur näheren Betrachtung des Schwergewichtes
zurück! Der „natürliche Ort“ der Erde ist keineswegs identisch
mit dem Schwergewichtszentrum oder dem Zentrum der Welt.
Denn die Erde ist kein Punkt, sondern ein ausgedehnter Körper.
1 Duhem II, 343 ff., I, 13 ff.
2 Sehr naiv ist die von Duhem II, 343 zitierte Erklärung des größeren
Physikkommentars: danach sollen Überschwemmungen, der Bau von Städten
u. dgl. das Gleichgewicht verschieben! Also wiederum eine seltsame Ver-
dunkelung bemerkenswerter Erkenntnisse!
3 abbrev. phvs. 1. c. Bl. 72,a. (Terne k 3). Cum terra naturaliter mo-
veatur ad medium simpliciter, ipsa appetit, ut ex omni latere medii sit equalis
gravitatis, igitur quando sic non est et non est impedimentum, terra movet se,
ut sue gravitatis medium sit medium mundi; modo constat, quod respectu tante
gravitatis, quanta est tocius terre, nequit per naturam esse impedimentum as-
sumptum; patet quod continue pars terre discooperta fit levior, ergo continue
fit centrum gravitatis terre extra centrum mundi. . . quod radii solis continue
levificant. partes terre discoopertas. Es folgt die Erledigung des Einwandes, eine
geringe Gleichgewichtsverschiebung könne den Widerstand der gravitas tocius
terre und der Luft nicht überwinden: Non solus ille parvus excessus, qui
additur, nititur seu appetit movere terram, sed tota terramet ita appetit locari. —
ibidem Bl. 30, c: Supponendo, quod iam centrum gravitatis terre esset centrum
mundi, statim per exhalationes et levificationes terre immediate discooperte aquis
fiat minor gravitas circa centrum quam ultra, ergo nullo tempore manet centrum
gravitatis terre centrum mundi. Ibid. Bl. 31, b: Sicut haec medietas continue
levificatur, ita tota terra movetur vel continue istam medietatem terre discoopertam
aquis sursum et aliarn deorsum [movet].
 
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