Studien zur £pätscholastik. I.
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kennen bereits diese Wendung der Argumentation. Sie enthält
nichts Geringeres als die grundsätzliche Abkehr von der kritischen
Handhabung der Erkenntnislehre durch Okkam. Glauben und
Wissen sind trotz allem keine Gegensätze. Doch gibt es freilich
zahlreiche Glaubenswahrheiten, die von keiner Wissenschaft „er-
reicht“ werden1: so die Trinität Gottes, die Schöpfung aus dem
Nichts, die Inkarnation und Auferstehung Christi u. a. m. Um sie
zu begreifen, muß zuvor der Glaube die christliche Offenbarung
annehmen, und Marsilius verwendet viel Fleiß und Scharfsinn auf
den Nachweis, daß diese Dogmen der außerchristlichen Welt nie-
mals erreichbar sind und waren2. Der Christ kann aber dieses
Ziel erreichen, ohne im mindesten gelehrt zu sein; kann doch ein
einfaches Weib an solcher Glaubenserkenntnis einen reicheren
Schatz für ihr Leben besitzen, als alle Philosophen zusammen an
ihrer „natürlichen“ Wissenschaft3. So steht der Glaube immer
höher als das theologische Wissen, und schon darum kann die
Theologie „als solche“ (ipsa ut sic), d. h. abgesehen von ihren
auch der Metaphysik zugänglichen Teilen, nicht als Wissenschaft
gelten4. Darum fehlt es ihr aber doch nicht an wissenschaftlichen
Aufgaben. Zunächst gilt es die verschiedenen Sätze der hl. Schrift
gegenseitig sich erklären zu lassen, richtig zu interpretieren und
gegen ketzerische Meinungen apologetisch zu verwenden5; daraus
düng natürlich nicht vor; überhaupt spielt der Wille im Glaubensvorgang
sonst keine erkennbare Rolle, wie sich unten zeigen wird.
] 1. c. prop. 2, Bl. 14: De multis est jides, ad quae scientia proprie dicta
nullo modo pertingit, immo ad quae humana investigatio in puro lumine naturali
non potest pervenire. Das hindert aber nicht den Versuch, diese Sätze durch
logische Untersuchung der Vernunft zugänglich zu machen. M. v. I. versucht
dies z. B. für die Trinität mit Mitteln terministischer Logik, 1. sent. I, qu. 8,
Bl. 46, c: die Logik des Aristoteles soll danach mit der Trinitätslehre vereinbar
sein. Über die Art des Beweises vgl. Prantl IV 99, no. 394/5, p. 94, no. 308.
2 Bl. 14b —17a. Die interessanten Ausführungen zeigen eine auffallende
Kenntnis nich nur der sch lastischen, sondern auch der antiken und orien-
alischen Literatur. Zitiert werden u. a. auch Plato, Ovid, Macrobius (som-
nium Scipionis), Hermes Trisrnegistus, Hali Habenrail (? — glossa quadri-
partiti Ptolemaei), Rieh, von St. Viktor. Vgl. den Bibliothekskatalog des
M. v. I., Toepke I, 678ff.
3 Bl. 14, b, corell. 3.
4 1. c. art. 3, concl. 7, Bl. 17 v; Auswahl der Lehrmeinungen von Thomas
v. Aquino und von Straßburg, Skotus, Durandus Porretanus, Petrus von Taren-
tasia, Egidius Romanus, Petrus von Alumnia, Aureolus. ibid. Bl. 17.
5 1. c. co. 3, Bl. 17.
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kennen bereits diese Wendung der Argumentation. Sie enthält
nichts Geringeres als die grundsätzliche Abkehr von der kritischen
Handhabung der Erkenntnislehre durch Okkam. Glauben und
Wissen sind trotz allem keine Gegensätze. Doch gibt es freilich
zahlreiche Glaubenswahrheiten, die von keiner Wissenschaft „er-
reicht“ werden1: so die Trinität Gottes, die Schöpfung aus dem
Nichts, die Inkarnation und Auferstehung Christi u. a. m. Um sie
zu begreifen, muß zuvor der Glaube die christliche Offenbarung
annehmen, und Marsilius verwendet viel Fleiß und Scharfsinn auf
den Nachweis, daß diese Dogmen der außerchristlichen Welt nie-
mals erreichbar sind und waren2. Der Christ kann aber dieses
Ziel erreichen, ohne im mindesten gelehrt zu sein; kann doch ein
einfaches Weib an solcher Glaubenserkenntnis einen reicheren
Schatz für ihr Leben besitzen, als alle Philosophen zusammen an
ihrer „natürlichen“ Wissenschaft3. So steht der Glaube immer
höher als das theologische Wissen, und schon darum kann die
Theologie „als solche“ (ipsa ut sic), d. h. abgesehen von ihren
auch der Metaphysik zugänglichen Teilen, nicht als Wissenschaft
gelten4. Darum fehlt es ihr aber doch nicht an wissenschaftlichen
Aufgaben. Zunächst gilt es die verschiedenen Sätze der hl. Schrift
gegenseitig sich erklären zu lassen, richtig zu interpretieren und
gegen ketzerische Meinungen apologetisch zu verwenden5; daraus
düng natürlich nicht vor; überhaupt spielt der Wille im Glaubensvorgang
sonst keine erkennbare Rolle, wie sich unten zeigen wird.
] 1. c. prop. 2, Bl. 14: De multis est jides, ad quae scientia proprie dicta
nullo modo pertingit, immo ad quae humana investigatio in puro lumine naturali
non potest pervenire. Das hindert aber nicht den Versuch, diese Sätze durch
logische Untersuchung der Vernunft zugänglich zu machen. M. v. I. versucht
dies z. B. für die Trinität mit Mitteln terministischer Logik, 1. sent. I, qu. 8,
Bl. 46, c: die Logik des Aristoteles soll danach mit der Trinitätslehre vereinbar
sein. Über die Art des Beweises vgl. Prantl IV 99, no. 394/5, p. 94, no. 308.
2 Bl. 14b —17a. Die interessanten Ausführungen zeigen eine auffallende
Kenntnis nich nur der sch lastischen, sondern auch der antiken und orien-
alischen Literatur. Zitiert werden u. a. auch Plato, Ovid, Macrobius (som-
nium Scipionis), Hermes Trisrnegistus, Hali Habenrail (? — glossa quadri-
partiti Ptolemaei), Rieh, von St. Viktor. Vgl. den Bibliothekskatalog des
M. v. I., Toepke I, 678ff.
3 Bl. 14, b, corell. 3.
4 1. c. art. 3, concl. 7, Bl. 17 v; Auswahl der Lehrmeinungen von Thomas
v. Aquino und von Straßburg, Skotus, Durandus Porretanus, Petrus von Taren-
tasia, Egidius Romanus, Petrus von Alumnia, Aureolus. ibid. Bl. 17.
5 1. c. co. 3, Bl. 17.