Metadaten

Oncken, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 2. Abhandlung): Die Utopia des Thomas Morus und das Machtproblem in der Staatslehre: Vortrag, gehalten in der Gesamtsitzung der Akademie am 4. Februar 1922 — Heidelberg, 1922

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.38035#0015
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Utopia des Thomas Morus.

15

Stimmung ,,ex qualibet urbe descriptis civibus“ entspricht wört-
lich einem Satze der Denkschrift ,,one man to be sent from every
parish“. Aber sei dem, wie es wolle, wir sehen: auch für die
Utopier gibt es Kolonisationspolitik, also Machtpolitik. Wenn
Morus die Machtpolitik seiner Zeit bekämpfte, wollte er nicht jede,
sondern eine bestimmte Art von Machtpolitik verwerfen; er
scheint auch eine zu kennen, die ihm natürlicher dünkt und
somit auch den Krieg rechtfertigt.
So überrascht es denn nicht, daß die Utopia noch von anderen
Kriegsmöglichkeiten weiß. Es findet sich zum Schluß ein Abschnitt
über das Kriegswesen, den das etwas salbungsvolle Bekenntnis ein-
leitet: „Den Krieg verabscheuen die Utopier aufs höchste als etwas
ganz Bestialisches, womit sich jedoch keine Art wilder Bestien so be-
schäftigt wie der Mensch. Entgegen der Sitte beinahe aller Völker
halten sie nichts für so unrühmlich, als im Kriege Ruhm zu suchen.“
Trotzdem kennen sie den Krieg, aber nur als Ausnahme. Einmal Ms
Verteidigungskrieg, was als gutes Recht ihnen zugebilligt werden
muß. Zweitens als Verteidigungskrieg für ihre Freunde — damit
geraten wir schon in die von Morus wiederholt scharf abgelehnte
Bündnispolitik der schlechten Machtordnungen seiner Zeit. Drit-
tens kennt man auch einen Befreiungskrieg zugunsten eines „von
Tyrannen unterdrückten Volkes“. Da es augenscheinlich die uto-
pische, also kommunistische Denkweise ist, die über den Begriff
des Tyrannen und der Unterdrückung entscheidet, so könnte damit
jeder Propagandakrieg der „utopischen Idee“ gerechtfertigt werden;
und wenn wir uns für einen Augenblick entschließen, Utopien zu
verlassen und in die Geschichte hinüberzutreten, so müßten wir
bekennen, daß alle Arten der Interventionstheorie, seien sie nun
reaktionär oder revolutionär begründet, und nicht minder alle Arten
der zivilisatorisch oder ähnlich verkleideten Eroberungsmethoden
mit dem bedenklichen Grundsatz der Utopier sehr zufrieden sein
könnten. Schließlich fehlt auch der Handelskrieg nicht, zwar nicht
für die eigenen Interessen der Utopier, die von ihrer Wirtschaftsform
aus gar keinen Handel treiben, aber doch für die Interessen ihrer
Freunde, falls deren Kaufleute irgendwo in einem fremden Lande
in ihren Rechten verkürzt werden sollten. Nehmen wir zu dem
allen noch den schon erwähnten Kolonialkrieg zum Erwerb be-
nötigten Siedlungslandes hinzu, so erhMten wir eine stattliche Liste
von Fiktionen zur Begründung des seit Augustin immer wieder er-
örterten bellum justum. Diese utopische Kasuistik, die über die
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften