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Oncken, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 2. Abhandlung): Die Utopia des Thomas Morus und das Machtproblem in der Staatslehre: Vortrag, gehalten in der Gesamtsitzung der Akademie am 4. Februar 1922 — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38035#0016
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16

Hermann Oncken:

Sätze der mittelalterlichen Kanonisten weit hinausreicht, vermag
auch die anspruchsvollste Theorie des Krieges zu befriedigen. Sie
erscheint noch bedenklicher als die Lehre Machiavells, weil alle mora-
lisierende Kasuistik einen unmoralischen Kern in sich schließt. Die
englische Geschichte lehrt, daß gerade in diesem Volke das Be-
dürfnis nach einer ethisch formulierten Rechtfertigung eines Krieges
zu allen Zeiten sehr lebendig gewesen ist.
Geht man nun zu der Kriegführung der Utopier über, so gibt
es vollends kein Halten mehr; sie ist grundsätzlich ebenso hart
wie diejenige anderer Völker. Auffällig bleibt eine gewisse rechen-
mäßige Rationalisierung der Kriegsmethoden, eine Bevorzugung
des indirekten Verfahrens, um das Kriegsziel zu erreichen. So sehr
auch das Sombartsche Schlagwort der „Helden und Händler“ über-
trieben war, so scheint doch aus der insularen Isolierung eine etwas
andere Einstellung zum heldischen Kampf als bei den Kontinental-
völkern hervorzugehen. Bei Kriegsbeginn schreiben die Utopier
hohe Belohnungen für die Ermordung der feindlichen Fürsten und
ihrer Ratgeber aus, und verdoppeln sie, wenn sie lebendig einge-
bracht werden; historische Belege aus den Niederungen der eng-
lischen Publizistik und Praxis dafür beizubringen, will ich mir ver-
sagen. Sehr charakteristisch aber ist die utopische Kriegsverfassung.
Während Machiavell, voll von dem Ethos des männlichen Eintre-
tens, das Machtmittel der allgemeinen Wehrpflicht fordert und Sold-
truppen als minderwertig verwirft, beobachten die Utopier des Eng-
länders Morus eine umgekehrte Praxis. In erster Linie verwenden
sie Mietstruppen — wobei in der von sittlicher Überheblichkeit trie-
fenden Darstellung des mißachteten Söldnervolkes der Zapoleten
ein Porträt der Schweizer jener Zeit gegeben wird. In zweiter Linie
kommen die Truppen derer, für die die Utopier die Waffen ergriffen
haben, in dritter die Truppen ihrer übrigen Freunde, und erst in
letzter Linie lassen sie ihre eigenen Bürger zum Kampfe antreten.
Die Frage, auf welcher Seite die sittlich-höhere Art der Wehrver-
pflichtung zu finden ist, sei hier nur gestreift. Auch die Kriegsziele
haben einen starken rationalen Einschlag: nicht Tötung, sondern
Versklavung der Kriegsgefangenen (da ja der utopische Idealstaat
für harte und rohe Arbeit der Sklaven bedarf); nicht territoriale
Eroberung, sondern Gewinn von dauernden Einkünften. Der Sieg
wird gekrönt durch Aneignung von Werten im Lande des Besiegten,
Einziehung von großen Gütern, Auferlegung von Tributzahlungen,
aus deren Ansammlung sich mit der Zeit ein ungeheurer Kriegs-
 
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