Studien zur Spätscholastik. II.
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Kommentatoren. Das wird schwerlich ohne Zusammenhang mit
dem Prozeß des Nikolaus von Autrecourt geschehen sein. Wenn
aber gleichzeitig die Theologen ermahnt werden, den Text der
Bibel und der Kirchenväter nicht zu vernachlässigen zugunsten
höchst unnützer philosophischer Quästionen und anderer curiosae
disputationes et suspectae opiniones doctrinaeque peregrinae et variae,
so muß man sich hüten, auch diesen Tadel ohne weiteres und aus-
schließlich als Absage an die okkamistische Schule auszudeuten.
Das Überwuchern formallogischer und metaphysischer Argumen-
tationen ist eine Erscheinung, die im späteren Mittelalter in allen
Wissensdisziplinen sich bemerkbar macht und nicht auf bestimmte
Schulrichtungen beschränkt bleibt. Sie hängt mit dem ganzen
scholastischen Lehrbetrieb, insbesondere den Disputationen, auf
das genaueste zusammen und hat ihre eigentliche Wurzel, wie die
Quellen gelegentlich versichern, in der Pariser Lehrtradition, die
das magisterium in artibus und damit eine ungemein gründliche
formallogische Schulung zur Voraussetzung alles höheren Studiums
machte. Der Kampf gegen das Übermaß rein logischer Argumen-
tationen innerhalb der Theologie, aber auch der Jurisprudenz,
wird von den Einsichtigen aller Lakultäten und aller Parteilager
(auf seiten der ,,Modernen“ ist Joh. Gerson das bekannteste Bei-
spiel) immer wieder aufgenommen1, offenbar ohne durchgreifenden
Erfolg, wie noch zahlreiche Lehrbücher des 15. Jahrhunderts aus
allen Parteilagern zeigen. Bemerkenswert ist, daß dieselben Über-
treibungen der syllogistischen Methode schon im 13. Jahrhundert
den italienischen Juristen Anlaß zu heftiger Polemik gaben gegen
die französische Rechtsschule, die ihren Hauptsitz in Orleans
hatte2. Schon diese Tatsache sollte vor den Versuchen neuerer
1 Dem entspricht die Bestimmung der vom Papste 1366 gegebenen
Statuten, in den Sentenzenvorlesungen sich streng an den Text des Lombarden
zu halten, logische und rein artistische Quästionen zu vermeiden, allen Nach-
druck auf die theologisch-moralische Auslegung zu verwenden usw. Chart.
III, Nr. 1319.
2 Vgl. E. M. Meijers De universiteit van Orleans in de XIII.e eeuw,
Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis, Deel II, afl. 4, p. 489ff. Ibidem 491,
N. 2 eine Stelle aus dem proemium zu dem Digestenkommentar des Albericus
de Rosate, die die Ansicht des Ricardus Malumbia (Padua) widergibt: Ipse
enim irridebat aliquos doctores contemporaneos suos, qui studebant tradere scien-
tiam nostram modo sillogistico, sophistico et dialectico, et dicebat con-
siderari debere, quod scientia nostra tradi non debet hoc modo . . . et non reperietur,
quod ipsi iurisconsulti arguerint modo, quomodo arguunt doctores moderni et
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Kommentatoren. Das wird schwerlich ohne Zusammenhang mit
dem Prozeß des Nikolaus von Autrecourt geschehen sein. Wenn
aber gleichzeitig die Theologen ermahnt werden, den Text der
Bibel und der Kirchenväter nicht zu vernachlässigen zugunsten
höchst unnützer philosophischer Quästionen und anderer curiosae
disputationes et suspectae opiniones doctrinaeque peregrinae et variae,
so muß man sich hüten, auch diesen Tadel ohne weiteres und aus-
schließlich als Absage an die okkamistische Schule auszudeuten.
Das Überwuchern formallogischer und metaphysischer Argumen-
tationen ist eine Erscheinung, die im späteren Mittelalter in allen
Wissensdisziplinen sich bemerkbar macht und nicht auf bestimmte
Schulrichtungen beschränkt bleibt. Sie hängt mit dem ganzen
scholastischen Lehrbetrieb, insbesondere den Disputationen, auf
das genaueste zusammen und hat ihre eigentliche Wurzel, wie die
Quellen gelegentlich versichern, in der Pariser Lehrtradition, die
das magisterium in artibus und damit eine ungemein gründliche
formallogische Schulung zur Voraussetzung alles höheren Studiums
machte. Der Kampf gegen das Übermaß rein logischer Argumen-
tationen innerhalb der Theologie, aber auch der Jurisprudenz,
wird von den Einsichtigen aller Lakultäten und aller Parteilager
(auf seiten der ,,Modernen“ ist Joh. Gerson das bekannteste Bei-
spiel) immer wieder aufgenommen1, offenbar ohne durchgreifenden
Erfolg, wie noch zahlreiche Lehrbücher des 15. Jahrhunderts aus
allen Parteilagern zeigen. Bemerkenswert ist, daß dieselben Über-
treibungen der syllogistischen Methode schon im 13. Jahrhundert
den italienischen Juristen Anlaß zu heftiger Polemik gaben gegen
die französische Rechtsschule, die ihren Hauptsitz in Orleans
hatte2. Schon diese Tatsache sollte vor den Versuchen neuerer
1 Dem entspricht die Bestimmung der vom Papste 1366 gegebenen
Statuten, in den Sentenzenvorlesungen sich streng an den Text des Lombarden
zu halten, logische und rein artistische Quästionen zu vermeiden, allen Nach-
druck auf die theologisch-moralische Auslegung zu verwenden usw. Chart.
III, Nr. 1319.
2 Vgl. E. M. Meijers De universiteit van Orleans in de XIII.e eeuw,
Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis, Deel II, afl. 4, p. 489ff. Ibidem 491,
N. 2 eine Stelle aus dem proemium zu dem Digestenkommentar des Albericus
de Rosate, die die Ansicht des Ricardus Malumbia (Padua) widergibt: Ipse
enim irridebat aliquos doctores contemporaneos suos, qui studebant tradere scien-
tiam nostram modo sillogistico, sophistico et dialectico, et dicebat con-
siderari debere, quod scientia nostra tradi non debet hoc modo . . . et non reperietur,
quod ipsi iurisconsulti arguerint modo, quomodo arguunt doctores moderni et