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Franz Boll: Carl Bezold.
die Zupfgeige erklang am Abend in seiner Hand zu fröhlichen Nek-
kereien in Schnaderhüpfeln, und ein Hauptvergnügen war ihm eine
Zeitlang, geistreiche Schüttelreime zu häufen.
Aber auch in der Zeit des Semesters hat er eine schöne Er-
holung immer vor allem gepflegt, und das war die Musik: ihr waren
die Mittagstunden eingeräumt. Bezold war ebenso ein geborener
Musiker wie ein geborener Philologe. Die Mutter hatte ihm diese
Liebe und Begabung mitgegeben, und mit seiner Frau fand er sich
in der gleichen Neigung auch hier zusammen. Er spielte mit der-
selben Sicherheit Klavier und Orgel wie Geige und Cello. Eine
hohe musikalische Tradition wirkte in dem Hause weiter: der un-
mittelbare Zusammenhang mit der Kunst von Bobert und Klara
Schumann. Er hat mir noch zuletzt mit herzlicher Freude erzählt,
wie er bei seinem Aufenthalt in diesem Oktober in Baden-Baden
einer jungen russischen Klavier-Virtuosin die Auffassung Klara
Schumanns von Chopin sehen Sätzen bis ins kleinste aus treuem
Gedächtnis am Klavier wiederzugeben vermochte.
Die Musik klang sogar einmal versöhnlich in eine im übrigen
sehr lebhafte und offenherzige Polemik hinein: als ihn die Auf-
forderung des greisen Halevy dazu nötigte, in dessen eigener Zeit-
schrift die Existenz des nichtsemitischen Vorgängers der babylo-
nischen Kultur, des Volkes der Sumerer, gegen Halevys leiden-
schaftlich festgehaltenen Einspruch zu erhärten, tat er das in
ebenso entschiedener und lebendiger wie courtoisievoller Art und er-
innerte einmal auch zur Verdeutlichung einer These an Beethovensche
Sonaten. Die Randnote, die Halevy in seinem Abdruck dazu setzt
und in der er sehnsüchtig wünscht, mit den Klängen eben dieser
Beethovenschen Sonaten solche Polemik enden zu lassen, wenn er
einmal in Bezolds Arbeitszimmer treten dürfte — das wirkt heute
wie ein Klang aus einer versunkenen schöneren Zeit, wo das ge-
meinsame Wahrheitsstreben über die Völkergrenzen hinaus noch
nicht bedroht erschien.
Die deutsche Wissenschaft hat in Carl Bezold einen ihrer
kenntnisreichsten und gewiegtesten, urteilssichersten Vertreter der
semitischen Philologie verloren; die Heidelberger Fakultät den
Klang eines ruhmreichen Namens und eines ihrer trefflichsten Mit-
glieder. Den Freunden aber und vielen, die etwas von seinem Wesen
ahnten, ist das Unersetzlichste entrissen: ein reiner, vornehmer,
gütiger Mensch. Sie werden seiner nicht vergessen, solange sie
selber auf dieser Erde stehen.
Franz Boll: Carl Bezold.
die Zupfgeige erklang am Abend in seiner Hand zu fröhlichen Nek-
kereien in Schnaderhüpfeln, und ein Hauptvergnügen war ihm eine
Zeitlang, geistreiche Schüttelreime zu häufen.
Aber auch in der Zeit des Semesters hat er eine schöne Er-
holung immer vor allem gepflegt, und das war die Musik: ihr waren
die Mittagstunden eingeräumt. Bezold war ebenso ein geborener
Musiker wie ein geborener Philologe. Die Mutter hatte ihm diese
Liebe und Begabung mitgegeben, und mit seiner Frau fand er sich
in der gleichen Neigung auch hier zusammen. Er spielte mit der-
selben Sicherheit Klavier und Orgel wie Geige und Cello. Eine
hohe musikalische Tradition wirkte in dem Hause weiter: der un-
mittelbare Zusammenhang mit der Kunst von Bobert und Klara
Schumann. Er hat mir noch zuletzt mit herzlicher Freude erzählt,
wie er bei seinem Aufenthalt in diesem Oktober in Baden-Baden
einer jungen russischen Klavier-Virtuosin die Auffassung Klara
Schumanns von Chopin sehen Sätzen bis ins kleinste aus treuem
Gedächtnis am Klavier wiederzugeben vermochte.
Die Musik klang sogar einmal versöhnlich in eine im übrigen
sehr lebhafte und offenherzige Polemik hinein: als ihn die Auf-
forderung des greisen Halevy dazu nötigte, in dessen eigener Zeit-
schrift die Existenz des nichtsemitischen Vorgängers der babylo-
nischen Kultur, des Volkes der Sumerer, gegen Halevys leiden-
schaftlich festgehaltenen Einspruch zu erhärten, tat er das in
ebenso entschiedener und lebendiger wie courtoisievoller Art und er-
innerte einmal auch zur Verdeutlichung einer These an Beethovensche
Sonaten. Die Randnote, die Halevy in seinem Abdruck dazu setzt
und in der er sehnsüchtig wünscht, mit den Klängen eben dieser
Beethovenschen Sonaten solche Polemik enden zu lassen, wenn er
einmal in Bezolds Arbeitszimmer treten dürfte — das wirkt heute
wie ein Klang aus einer versunkenen schöneren Zeit, wo das ge-
meinsame Wahrheitsstreben über die Völkergrenzen hinaus noch
nicht bedroht erschien.
Die deutsche Wissenschaft hat in Carl Bezold einen ihrer
kenntnisreichsten und gewiegtesten, urteilssichersten Vertreter der
semitischen Philologie verloren; die Heidelberger Fakultät den
Klang eines ruhmreichen Namens und eines ihrer trefflichsten Mit-
glieder. Den Freunden aber und vielen, die etwas von seinem Wesen
ahnten, ist das Unersetzlichste entrissen: ein reiner, vornehmer,
gütiger Mensch. Sie werden seiner nicht vergessen, solange sie
selber auf dieser Erde stehen.