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Saxl, Fritz [Hrsg.]; Nationalbibliothek <Wien> [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1925/26, 2. Abhandlung): Verzeichnis astrologischer und mythologischer illustrierter Handschriften des lateinischen Mittelalters, 2: Die Handschriften der National-Bibliothek in Wien — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38875#0017
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Einleitung.

17

Man könnte sich vorstellen, daß Scotus diese Dinge mehr un-
willkürlich als bewußt aufgenommen hat, er lebte in der Sphäre
Süditaliens, die gleicher Weise klassizistisch wie orientalisiert ist* 1.
Aber schon das Aufnehmen neuer Sternbilder zeigt, daß Scotus
bewußt danach strebt, über den Besitzstand der Aratea an Stern-
bildern hinaus zu gelangen, und daß er hierzu Anleihen bei der
Sphaera arabica macht, die, wie Boll uns gelehrt hat, ihrerseits
Teile der Sphaera barbarica enthält2. Dieses intensive Streben nach
Erweiterung der Bildungselemente wird uns vielleicht am deut-
lichsten an jenem „neuen“ Sternbild des Schwimmers, dessen Ent-
stehungsgeschichte von Boll so wunderbar einfach aufgeklärt
wurde3. Hier borgt Scotus nicht bei den Arabern, sondern hier
versucht er, in neuem Sinn den alten Text der Aratea zu lesen,
um aus ihm noch unbekannte Sternbilder erfassen zu können4. Das
Streben, das im 12. Jahrhundert dazu geführt hat, daß aus dem
Zeichenbuch in den Illustrationen des Cocl. 12600 ein Bilder-
buch geworden ist, voll von Bildern einer phantastischen Lebendig-
keit, hat hier in Süditalien im 13. Jahrhundert, wo die Antike in
zwiefacher Gestalt — autochthon und im orientalischen Gewände
— auftrat, dazu geführt, daß der alte Rahmen, der den Bilder-
kreis der Aratea umspannte, gesprengt und damit der Weg zu
einer neuen bildhaften Erfassung der Gestirne freigemacht wurde.
Durch dieses Eindringen des phantastischen Elements in die
Sphäre der wissenschaftlichen Astronomie entstanden jedoch wesent-
liche Schwierigkeiten. Scotus bleibt in seinen Angaben, wo die
neuen Sternbilder am Himmel zu suchen seien, unklar. Die Frei-
heit der Astrologie findet eben ihre Grenze am mathematischen
Wesen der Astronomie. Um so toller kann sich die neue Richtung
dort gebärden, wo sie sich vom Zwang des Mathematischen frei
fühlt, und das ist bei der Darstellung der Planeten der Fall. Wäh-
rend man diese in der Provence noch im 14. Jahrhundert im wesent-
orientalischer Quelle, sondern einfach aus der Rec. interpol. des Aratus latinus
cf. E. Maass, Comment. in Ar. rel. p. 215 sq.
1 Es sei nur an zwei Tatsachen erinnert, erstens daß Künstler aus dem
Kreis Friedrichs II. eine ausgesprochene klassizistische Plastik entwickeln und
zweitens, daß der Kaisermantel der deutschen Kaiser in Sizilien von arabischen
Meistern mit altorientalischen Bildern geschmückt wurde.
2 Boll, a. a. 0., S. 448.
3 A. a. O., S. 540ff., woselbst auch eine Abb. nach der Münchener Scotus-
Handschrift Cod. lat. 10268.
4 Vgl. auch Bolls Ausführungen zum Altar als Hölleneingang S. 446f.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1925/26. 2.Abh.

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