Einleitung.
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eine sehr häufige Verwendung gefunden hat. Die Köpfe der Figuren
sind so gebildet, daß die ganze Konfiguration durch drei konzen-
trische Kreise bestimmt ist, „die ihren gemeinsamen Mittelpunkt
in der Nasenwurzel haben: der innerste — mit einer Nasenlänge
als Radius — umrahmt die Stirn und die Wangen, der zweite
—- mit zwei Nasenlängen — gibt das Außenmaß des Schädels an
und begrenzt das Gesicht nach unten hin, der dritte — mit drei
Nasenlängen — geht durch die Halsgrube oder den Kehlkopf und
bildet in der Regel auch den Heiligenschein“ (S. 203). Der dritte
Kreis erscheint in unserer Zeichnung (Taf. XIII, Abb. 21) nicht, da
der Kehlkopf verdeckt ist und die Figur keinen Heiligenschein hat;
aber die beiden anderen Kreise sind deutlich als Hilfsfiguren der
Zeichnung des Kopfes zugrunde gelegt. Sicherlich hatte diese Kon-
struktion für den Illustrator keinerlei weitere Bedeutung als
die eines zeichnerischen Hilfsmittels, um dem Kopf jene Strenge,
man darf fast sagen die Monumentalität, zu geben, für die sein
künstlerisches Gefühl nach Ausdruck suchte.
Genau dasselbe, hier in praxi angewandte Proportionsschema
lehrt ungefähr zur gleichen Zeit theoretisch Hildegard von Bingen in
ihrer Abhandlung über die makrokosmischen Zusammenhänge des
Menschen: In capite quoque hominis tria superiora elementa designata
sunt, scilicet a superficie calvariae usque ad frontem lucidus ignis
cum subteriori nigro igne; a fronte autem usque ad extremitatem
nasi, purus aether; et de naso usque ad guttur aquosus aer cum
sibi subposito forti et albo lucidoque aere . . . Sed et in recta aequali-
que mensura, quae a summo capitis hominis in ante usque ad super-
cilia, et usque in utramque aurem ejus . . . aequalis densitas elemen-
torum cum sibi adhaerentibus constitutionibus designatur (Migne
P. L. T. 197, col. 815 sq.).
In der Zeichnung des Prüfeninger Codex treffen also merk-
würdigerweise, wie bei Hildegard von Bingen, die beiden Schöß-
linge einer Wurzel wieder zusammen, nachdem .sie sich in den
Jahrhunderten nach so verschiedenen Richtungen hin entwickelt
haben: Mikrokosmische Elementenlehre und Proportionstheorie.
Es ist auf den ersten Blick deutlich, daß die Kopie der Mün-
chener Handschrift im Cod. 2357 (Taf. XII, Abb. 20) nichts mehr
von dem Konstruierten des Vorbildes hat. Trotzdem der Zeichner
der Wiener Handschrift gewiß kein so starkes Talent war, wieder
Illustrator desMünchener Codex, hat dennoch seine Figur eine Gelöst-
heit der Glieder — bei aller Ungeschicklichkeit im einzelnen — die
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eine sehr häufige Verwendung gefunden hat. Die Köpfe der Figuren
sind so gebildet, daß die ganze Konfiguration durch drei konzen-
trische Kreise bestimmt ist, „die ihren gemeinsamen Mittelpunkt
in der Nasenwurzel haben: der innerste — mit einer Nasenlänge
als Radius — umrahmt die Stirn und die Wangen, der zweite
—- mit zwei Nasenlängen — gibt das Außenmaß des Schädels an
und begrenzt das Gesicht nach unten hin, der dritte — mit drei
Nasenlängen — geht durch die Halsgrube oder den Kehlkopf und
bildet in der Regel auch den Heiligenschein“ (S. 203). Der dritte
Kreis erscheint in unserer Zeichnung (Taf. XIII, Abb. 21) nicht, da
der Kehlkopf verdeckt ist und die Figur keinen Heiligenschein hat;
aber die beiden anderen Kreise sind deutlich als Hilfsfiguren der
Zeichnung des Kopfes zugrunde gelegt. Sicherlich hatte diese Kon-
struktion für den Illustrator keinerlei weitere Bedeutung als
die eines zeichnerischen Hilfsmittels, um dem Kopf jene Strenge,
man darf fast sagen die Monumentalität, zu geben, für die sein
künstlerisches Gefühl nach Ausdruck suchte.
Genau dasselbe, hier in praxi angewandte Proportionsschema
lehrt ungefähr zur gleichen Zeit theoretisch Hildegard von Bingen in
ihrer Abhandlung über die makrokosmischen Zusammenhänge des
Menschen: In capite quoque hominis tria superiora elementa designata
sunt, scilicet a superficie calvariae usque ad frontem lucidus ignis
cum subteriori nigro igne; a fronte autem usque ad extremitatem
nasi, purus aether; et de naso usque ad guttur aquosus aer cum
sibi subposito forti et albo lucidoque aere . . . Sed et in recta aequali-
que mensura, quae a summo capitis hominis in ante usque ad super-
cilia, et usque in utramque aurem ejus . . . aequalis densitas elemen-
torum cum sibi adhaerentibus constitutionibus designatur (Migne
P. L. T. 197, col. 815 sq.).
In der Zeichnung des Prüfeninger Codex treffen also merk-
würdigerweise, wie bei Hildegard von Bingen, die beiden Schöß-
linge einer Wurzel wieder zusammen, nachdem .sie sich in den
Jahrhunderten nach so verschiedenen Richtungen hin entwickelt
haben: Mikrokosmische Elementenlehre und Proportionstheorie.
Es ist auf den ersten Blick deutlich, daß die Kopie der Mün-
chener Handschrift im Cod. 2357 (Taf. XII, Abb. 20) nichts mehr
von dem Konstruierten des Vorbildes hat. Trotzdem der Zeichner
der Wiener Handschrift gewiß kein so starkes Talent war, wieder
Illustrator desMünchener Codex, hat dennoch seine Figur eine Gelöst-
heit der Glieder — bei aller Ungeschicklichkeit im einzelnen — die