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Schubert, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 2. Abhandlung): Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38924#0049
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Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts.

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der Wahl, an der Parteikonstellation in dem wählenden Kardinals-
kollegium, an der hinter dieser stehenden Mächtegruppierung
hing die Entscheidung in der Weltfrage, wem bei seiner Seelen
Seligkeit der Christ, auch der christliche Fürst im Geistlichen und
Weltlichen Gehorsam zu leisten schuldig sei1. Wich keine der
beiden Parteien, so konnte die Folge nur sein, daß sich die Rechts-
ansprüche und die ihnen entsprechenden Bannflüche der beiden
Allmächtigen gegeneinander kehrten und also für den, der die
Rechtsfrage nicht zu entscheiden vermochte — und wer vermochte
es ? — gegenseitig aufhoben. Ein neuer Rechtsboden mußte ge-
sucht werden. Das aber war gegenüber der bisher geltenden Rechts-
anschauung vom Papst als oberster Rechtsquelle und selbst nicht
zu richtendem obersten Richter Revolution. Die Rechtsunsicher-
heit und infolgedessen die Glaubensunsicherheit war ungeheuer.
Der innerkatholische Verfassungskampf der ersten Hälfte des
15. Jahrhunderts hat eine publizistische Rechtsliteratur hervor-
gebracht, in der alle Möglichkeiten von der konservativsten bis zur
radikalsten Lösung abgetastet wurden und selbst ein so zweifellos
kirchlicher Mann wie Gerson, der Kanzler von Paris, ein Buch
„Über die Absetzbarkeit des Papstes“ schrieb mit der Konsequenz,
unter Umständen müsse man ihn einsperren und töten2. Und
diese Zeit vom Pisaner bis zum Basler Konzil hat auch in praxi
alle Lösungen versucht, von der Schaffung einer Kardinalsoligarchie
bis zur Erhebung des allgemeinen Konzils als der Repräsentation
aller Gläubigen zum unfehlbaren absoluten Regierungsinstrument,
an dessen Anerkennung wiederum der Menschen irdisches und
ewiges Heil geknüpft wurde. Zu deutlicherer Erscheinung kam in
Konstanz und dann Basel der Ansatz einer neuen Verfassung, die
durch die Verlegung der Souveränität vom Papst auf das Konzil
tatsächlich über das ganze mittelalterliche Recht hinweg zurück-
griff auf die Verfassungsformen der alten Kirche zur Zeit der
1 Gregor XL, der erste aus Avignon nach Rom zurückgekehrte Papst,
hatte Urban \ I., einen Italiener, zum Nachfolger erhalten, aber als die Fran-
zosen erkannten, daß er in Rom bleiben wollte, griffen sie auf Irregularitäten
am Ende des Wahlvorganges zurück und wählten den Franzosen Clemens VII.
Vgl. bes. Hefele, Conciliengesch. VI, 727ff.; Hauck, KG. D.’s V, 676.
2 Gerson, De auferibilitate papae, cons. XIII, XVI fin. (opp. 1489,
t. 1,3). Der Rechtsgehalt der Constanzer Epoche immer noch am besten bei
Hübler, Die Constanzer Ref. (1867), die Rechtsliteratur bei Hauck, KG.
Deutschlands V, 10. Buch, 2. u. 4. Kap.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1926/27 2,Abh. 4
 
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