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Mitteis, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 3. Abhandlung): Politische Prozesse des früheren Mittelalters in Deutschland und Frankreich — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38925#0040
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40

Heinrich Mitteis:

mit der urteilsmäßig geschaffenen Rechtslage übereinstimmenden
Sachlage. Wenn er weiter die Grafschaften Oster- und Westergau
an Utrecht vergibt, so überträgt er damit seine Urteilsgewere,
nachdem er sie realisiert hat, und muß nun für den gesicherten
Besitz seines Rechtsnachfolgers einstehen1; er hat die Pflicht der
defensio, darf also insbesondere nicht selbst die Gewere wieder ent-
ziehen. Was früher reiner amtsrechtlicher Gnadenakt war, ist
jetzt durch Hineinhebung in die Sphäre privatrechtlicher Vor-
stellungen zu größerer Sicherheit gediehen2. Zum ersten Male zeigt
sich etwas der Rechtskraft des Urteils Vergleichbares: aus der da-
durch geschaffenen materiell-rechtlichen Situation nimmt das Urteil
seine Unumstößlichkeit und wird die in ursächlichem Zusammen-
hang mit der Aburteilung stehende Weiterverleihung zu solcher
Festigkeit gesteigert, daß weder der König selbst, auch wenn er es
wollte, noch einer seiner Nachfolger dagegen zu verstoßen ver-
möchten (U III).
Nun noch ein Weiteres: Die Urkunde zeigt, worauf schon
Niese aufmerksam gemacht hat, ein merkwürdig progressives Fort-
schreiten der Urteilsvollstreckung. Erst nachdem Heinrich den
letzten Versuch gemacht hat, Ekbert zurückzugewinnen, wird zur
definitiven Einziehung und Weiterverleihung geschritten. Indessen
hat Niese wohl zu Unrecht angenommen, das Urteil sei erst später
,,ausgegeben“ worden3, wie mir überhaupt die Übung dieses
erst viel später bezeugten Rechtsbrauchs in so früher Zeit zweifel-
haft erscheint. Vielmehr ist uns ja ein solch progressives Vor-
schreiten, eine solche Doppelwirkung von Strafe und indirektem
Zwang, eine solche Streckung des Verfahrens von früher schon
bekannt: das waren ja die typischen Formen der karolingischen
Fronung, wie sie sich in Italien erhalten hatten4. Und es wäre
nicht ausgeschlossen, daß wir hier die ersten Spuren ihrer Rück-
übernahme ins deutsche Reichsrecht vor uns haben.

1 Vgl. Planck, Gerichtsv. I, 542; Heusler, Institutionen II, 42.
2 Beachte die besonders feierliche Floskel in U IV: Hoc predium Gredin-
gen . . . Eichstetensi aecclesiae, in perpetuum firmando tradidimus, tradendo
jirmavimus . . .
3 Der Terminus „Ausgeben“ stammt erst aus der Glosse zum Ssp. Ldr.
III 78 § 1, vgl. Planck, Gerichtsverf. I, S. 308. Niese identifiziert die con-
firmatio mit dem Ausgeben (S. 208). Diese ist aber nur ausnahmsweise
bezeugt, vgl. Franklin, Reichshofgericht II, S. 274, 279.
4 S. oben S.22.
 
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