Politische Prozesse.
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an diesem ersten Verfahren sich beteiligt haben sollte1, läßt sich
aus der Urkunde nicht entnehmen.
2. Viel schwieriger liegen die lehnrechtlichen Ladungsgründe.
Hier ist es der Kaiser selbst, der mit den Fürsten in eine Streit-
genossenschaft eintritt und ihre Sache zu seiner eigenen macht;
mußte doch der Angriff auf den Lehnsmann desselben Herrn zu-
gleich eine Lehnspflichtverletzung gegen diesen selbst involvieren.
Dem entspricht vollständig die ausdrucksvolle Klimax, in der die
Ladungsgründe des Lehnrechts vorgeführt werden. Zunächst
werden die Beleidigungen der Fürsten genannt, dann der multi-
plex contemptus, der dem Kaiser widerfahren ist. Für beides —-
denn sowohl in ,,iniuria“ wie in „contemptus“ stecken ja bereits
juristische Werturteile — bilden die in dem quoniam-Satz ange-
führten Fakten die tatsächliche Unterlage. Ferner wird aber auch
durch die Verwendung des koordinierenden tarn — quam zum Aus-
druck gebracht, daß in diesen Tatsachen eben beides zugleich ent-
halten ist, daß ein und dasselbe fortgesetzte Delikt in zwei Rechts-
sphären, die kaiserliche und die fürstliche, eingegriffen hat. Ich
halte es nicht für zutreffend, für das Wort „contemptus“ eine
andre Erklärung2 als diese nächstliegende, etwa gar aus irgend-
welchen in der Urkunde nicht enthaltenen Vorkommnissen, zu
suchen.
Nun endlich den reatus maiestatis! Hier betreten wir höchst
unsicheren Boden, und wir müssen uns darüber klar sein, daß er
immer unsicherer wird, je weiter wir uns von der Urkunde ent-
fernen. Es hat gar keinen Zweck, die Frage etwa so zu formulieren:
Was kann alles als reatus maiestatis angesehen werden, insbeson-
dere nach Lehnrecht? Oder gar: Welche präzisen Tatbestands-
merkmale enthält der reatus maiestatis ? Denn eine scharf ab-
gegrenzte Verbrechensforme], wie in einem modernen Strafgesetz-
buch, können wir nun einmal im Mittelalter nirgendwo finden3.
Vielmehr ist zu fragen: Welche Anhaltspunkte gibt uns die Urkunde
selbst für den im konkreten Fall verwendeten Begriff des reatus
maiestatis — und insbesondere, auf welcher Grundlage kann er als
evidens erscheinen ?
1 So Weiland, Forsch, z. Dtsch. Gesch. S. 182; Niese 251.
2 Über die verschiedenen Deutungsversuche s. Güterbock II, 64ff.;
Haller 372ff.; Niese 248; Schambach 206ff.
3 Vielleicht bringt der zu erwartende 2. Band von His’ Strafrecht des
MA. eine gewisse Klärung.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hi t. Kl. 1923 27. 3. Abh. •’
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an diesem ersten Verfahren sich beteiligt haben sollte1, läßt sich
aus der Urkunde nicht entnehmen.
2. Viel schwieriger liegen die lehnrechtlichen Ladungsgründe.
Hier ist es der Kaiser selbst, der mit den Fürsten in eine Streit-
genossenschaft eintritt und ihre Sache zu seiner eigenen macht;
mußte doch der Angriff auf den Lehnsmann desselben Herrn zu-
gleich eine Lehnspflichtverletzung gegen diesen selbst involvieren.
Dem entspricht vollständig die ausdrucksvolle Klimax, in der die
Ladungsgründe des Lehnrechts vorgeführt werden. Zunächst
werden die Beleidigungen der Fürsten genannt, dann der multi-
plex contemptus, der dem Kaiser widerfahren ist. Für beides —-
denn sowohl in ,,iniuria“ wie in „contemptus“ stecken ja bereits
juristische Werturteile — bilden die in dem quoniam-Satz ange-
führten Fakten die tatsächliche Unterlage. Ferner wird aber auch
durch die Verwendung des koordinierenden tarn — quam zum Aus-
druck gebracht, daß in diesen Tatsachen eben beides zugleich ent-
halten ist, daß ein und dasselbe fortgesetzte Delikt in zwei Rechts-
sphären, die kaiserliche und die fürstliche, eingegriffen hat. Ich
halte es nicht für zutreffend, für das Wort „contemptus“ eine
andre Erklärung2 als diese nächstliegende, etwa gar aus irgend-
welchen in der Urkunde nicht enthaltenen Vorkommnissen, zu
suchen.
Nun endlich den reatus maiestatis! Hier betreten wir höchst
unsicheren Boden, und wir müssen uns darüber klar sein, daß er
immer unsicherer wird, je weiter wir uns von der Urkunde ent-
fernen. Es hat gar keinen Zweck, die Frage etwa so zu formulieren:
Was kann alles als reatus maiestatis angesehen werden, insbeson-
dere nach Lehnrecht? Oder gar: Welche präzisen Tatbestands-
merkmale enthält der reatus maiestatis ? Denn eine scharf ab-
gegrenzte Verbrechensforme], wie in einem modernen Strafgesetz-
buch, können wir nun einmal im Mittelalter nirgendwo finden3.
Vielmehr ist zu fragen: Welche Anhaltspunkte gibt uns die Urkunde
selbst für den im konkreten Fall verwendeten Begriff des reatus
maiestatis — und insbesondere, auf welcher Grundlage kann er als
evidens erscheinen ?
1 So Weiland, Forsch, z. Dtsch. Gesch. S. 182; Niese 251.
2 Über die verschiedenen Deutungsversuche s. Güterbock II, 64ff.;
Haller 372ff.; Niese 248; Schambach 206ff.
3 Vielleicht bringt der zu erwartende 2. Band von His’ Strafrecht des
MA. eine gewisse Klärung.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hi t. Kl. 1923 27. 3. Abh. •’