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Heinrich Mitteis :
minus in eadem causa quantum iuris ordo dictaverit et
principum sentencia decreverit procedemus.
Es ist hieraus ganz zweifellos die Tendenz zu entnehmen, das
Verfahren ohne Rücksicht auf die Renitenz des Angeklagten zum
legalen Ende zu führen, sein Ausbleiben einfach zu ignorieren und
den Angeklagten lediglich mit den zu seiner Entlastung dienenden
Defensionsakten auszuschließen. Es zeigt sich also, daß hier ein
Prinzip in das Reichshofgerichtsverfahren eingedrungen ist, das
aus dem spätklassischen römischen Kognitionsverfahren1 ebenso
wie aus dem romanisch-kanonischen Prozeßrecht2 bekannt ist und
in der Wissenschaft3 als Verfahren per eremodicium, Eremodizial-
verfahren bezeichnet wird. Es wäre dabei erst noch genauer zu
untersuchen, ob der Fall Ottokars den ersten Anwendungsfall dieses
Eremodizialprinzips im Reichshofgericht darstellt. Es scheint, als
ob es schon früher praktiziert worden wäre. Dafür spricht ins-
besondere das Achturteil, das am 25. Januar 1274 gegen den edlen
Herren Heinrich von Hessen erging. Diese Ächtung eines Ab-
wesenden, ein klassisches Reispiel übrigens für den engen Zusammen-
hang zwischen Acht und Rann4, erging auf die Klage des Erz-
bischofs Wernher von Magdeburg, der zur Substantiierung seines
Antrags vortrug, er habe den Angeklagten bereits exkommuniziert.
Das Urteil lautet nun5:
quia idem nobilis die sibi prefixo non curaoit nostro se conspectui
ofjerre, et dictus archiepiscopus juramento proprio et pertestes
fide dignos probavit legitime coram nobis,se rite et racionabiliter
contra dictum nobilem processisse, inde in ipsum nobilem nostre pro-
scriptionis sententiam proferimus iustitia exigente.
Daß man hier vom Kläger noch den Reweis für die Recht-
mäßigkeit seines Verfahrens forderte, zeigt zumindest ein starkes
Hinneigen zu den Grundgedanken des Eremodizialverfahrens, das
ja eben die übrigen, ohne den Beklagten möglichen Prozeßhand-
lungen vor sich gehen ließ, insbesondere also die Beweiserbringung
1 Steinwenter, Studien zum römischen VersäunMiisverfahren (1914),
92ff.; Kipp in Pauly-Wissowa, Realenzyklopädie I, 417. Der Ausdruck
„Eremodizium“ ist allerdings erst justinianisch. Wenger, Instit. des röm.
ZPrechts S. 195 A. 68.
2 Dazu P. Hinschius, Kirchenrecht IV, 770ff.; Wetzell, Syst, des
ordentl. ZP. 617ff., und meine Nachweisungen: Studien 210ff.
3 R. Schmidt, Lehrbuch des ZPrechts2 550.
4 Eichmann, Acht und Bann, S. 140.
5 MG. Const. III, 636; Böhmer, Reg. VI, 94.
Heinrich Mitteis :
minus in eadem causa quantum iuris ordo dictaverit et
principum sentencia decreverit procedemus.
Es ist hieraus ganz zweifellos die Tendenz zu entnehmen, das
Verfahren ohne Rücksicht auf die Renitenz des Angeklagten zum
legalen Ende zu führen, sein Ausbleiben einfach zu ignorieren und
den Angeklagten lediglich mit den zu seiner Entlastung dienenden
Defensionsakten auszuschließen. Es zeigt sich also, daß hier ein
Prinzip in das Reichshofgerichtsverfahren eingedrungen ist, das
aus dem spätklassischen römischen Kognitionsverfahren1 ebenso
wie aus dem romanisch-kanonischen Prozeßrecht2 bekannt ist und
in der Wissenschaft3 als Verfahren per eremodicium, Eremodizial-
verfahren bezeichnet wird. Es wäre dabei erst noch genauer zu
untersuchen, ob der Fall Ottokars den ersten Anwendungsfall dieses
Eremodizialprinzips im Reichshofgericht darstellt. Es scheint, als
ob es schon früher praktiziert worden wäre. Dafür spricht ins-
besondere das Achturteil, das am 25. Januar 1274 gegen den edlen
Herren Heinrich von Hessen erging. Diese Ächtung eines Ab-
wesenden, ein klassisches Reispiel übrigens für den engen Zusammen-
hang zwischen Acht und Rann4, erging auf die Klage des Erz-
bischofs Wernher von Magdeburg, der zur Substantiierung seines
Antrags vortrug, er habe den Angeklagten bereits exkommuniziert.
Das Urteil lautet nun5:
quia idem nobilis die sibi prefixo non curaoit nostro se conspectui
ofjerre, et dictus archiepiscopus juramento proprio et pertestes
fide dignos probavit legitime coram nobis,se rite et racionabiliter
contra dictum nobilem processisse, inde in ipsum nobilem nostre pro-
scriptionis sententiam proferimus iustitia exigente.
Daß man hier vom Kläger noch den Reweis für die Recht-
mäßigkeit seines Verfahrens forderte, zeigt zumindest ein starkes
Hinneigen zu den Grundgedanken des Eremodizialverfahrens, das
ja eben die übrigen, ohne den Beklagten möglichen Prozeßhand-
lungen vor sich gehen ließ, insbesondere also die Beweiserbringung
1 Steinwenter, Studien zum römischen VersäunMiisverfahren (1914),
92ff.; Kipp in Pauly-Wissowa, Realenzyklopädie I, 417. Der Ausdruck
„Eremodizium“ ist allerdings erst justinianisch. Wenger, Instit. des röm.
ZPrechts S. 195 A. 68.
2 Dazu P. Hinschius, Kirchenrecht IV, 770ff.; Wetzell, Syst, des
ordentl. ZP. 617ff., und meine Nachweisungen: Studien 210ff.
3 R. Schmidt, Lehrbuch des ZPrechts2 550.
4 Eichmann, Acht und Bann, S. 140.
5 MG. Const. III, 636; Böhmer, Reg. VI, 94.