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Ernst Lohmeyer:
Stimmung des göttlichen Gesetzes, dem gehorsam zu sein notwendig
ist. Nun bildet der Tod, der für den jüdischen Glauben eines der
dunkelsten Rätsel war und immer wie im Schatten einer Gott-
widrigkeit blieb, nur in Jes. 53 ein unlösliches Element der Niedrig-
keit, die Gott seinem ,,Knechte“ auferlegt. Während er sonst rein
als Strafe Gottes für menschliche Sündigkeit angeschaut wird, ist
er hier in die große Betrachtung mit einbezogen, daß er ein positives
Element und Zeichen göttlichen Waltens wurde. So ist denn auch
hier dieser „Gehorsam bis zum Tode“ durch das Vorbild von
Jes. 53 bestimmt; diese prophetischen Worte sind das Gesetz, das
den „Menschensohn“ zur Niedrigkeit des Todes verpflichtet. Der
Tod ist hier also mehr als göttliche Bestimmung, und der Gehorsam
geht über die Worte der Erzählung von Gethsemane: „Nicht
mein, sondern dein Wille geschehe“ hinaus. Gottes Wille ist der
Tod; und er ist nicht wie ein unabänderliches und unbegreifliches
Schicksal getragen, sondern in den freien Willen und die freie Ein-
sicht dieser göttlichen Gestalt aufgenommen. Sie will ihren eigenen
Tod und ist darin „bis zum Tode gehorsam“. Und in diesem
freien und willentlichen Gehorsam wird ein göttlicher Plan sichtbar,
der über dieser Gestalt waltet und an ihr offenbar wird. Eine Unter-
scheidung und Scheidung von Gott und göttlicher Gestalt, von
Sache und Person ist damit zum ersten Male angedeutet; sie be-
reitet damit das unmittelbare Eingreifen Gottes in die Geschichte
•dieses menschlich-göttlichen Lebens vor, das in der zweiten Hälfte
des Gedichtes mit überschwänglichen Worten geschildert wird. So
ist diese Wendung, die zunächst nur den Begriff des „Sich-erniedri-
gens“ zu wiederholen scheint, notwendig, um den Gedanken der
Niedrigkeit zu ergänzen und „bis zum Tode“ weiterzuführen.
Damit hat sich ein klarer religiöser Gedankengang ergeben,
der die Schilderung des geschichtlichen Lebens Christi trägt. Er
ward ein Leben lang in der göttlichen Würde des „Menschensohnes
erfunden“; aber trotz dieser Würde, ja wegen dieser Würde, die
allein die Möglichkeit gibt, hat er mit freiem Willen seinen Tod als
Tat seines Gehorsams — es läßt sich nicht anders sagen — voll-
zogen. Es ist der göttliche Beweis einer beispielhaften Demut.
Wenn andere prophetische Gestalten — es sind bezeichnenderweise
die sogenannten Vorläufer des Messias — den „Tod nicht zu sehen“
brauchten, so hat er auch diese für Boten Gottes gleichsam mögliche
Gnade nicht in Anspruch genommen, sondern dem ersten Beispiel
des Opfers, der Menschwerdung, die gleichsam die Vernichtung der
Ernst Lohmeyer:
Stimmung des göttlichen Gesetzes, dem gehorsam zu sein notwendig
ist. Nun bildet der Tod, der für den jüdischen Glauben eines der
dunkelsten Rätsel war und immer wie im Schatten einer Gott-
widrigkeit blieb, nur in Jes. 53 ein unlösliches Element der Niedrig-
keit, die Gott seinem ,,Knechte“ auferlegt. Während er sonst rein
als Strafe Gottes für menschliche Sündigkeit angeschaut wird, ist
er hier in die große Betrachtung mit einbezogen, daß er ein positives
Element und Zeichen göttlichen Waltens wurde. So ist denn auch
hier dieser „Gehorsam bis zum Tode“ durch das Vorbild von
Jes. 53 bestimmt; diese prophetischen Worte sind das Gesetz, das
den „Menschensohn“ zur Niedrigkeit des Todes verpflichtet. Der
Tod ist hier also mehr als göttliche Bestimmung, und der Gehorsam
geht über die Worte der Erzählung von Gethsemane: „Nicht
mein, sondern dein Wille geschehe“ hinaus. Gottes Wille ist der
Tod; und er ist nicht wie ein unabänderliches und unbegreifliches
Schicksal getragen, sondern in den freien Willen und die freie Ein-
sicht dieser göttlichen Gestalt aufgenommen. Sie will ihren eigenen
Tod und ist darin „bis zum Tode gehorsam“. Und in diesem
freien und willentlichen Gehorsam wird ein göttlicher Plan sichtbar,
der über dieser Gestalt waltet und an ihr offenbar wird. Eine Unter-
scheidung und Scheidung von Gott und göttlicher Gestalt, von
Sache und Person ist damit zum ersten Male angedeutet; sie be-
reitet damit das unmittelbare Eingreifen Gottes in die Geschichte
•dieses menschlich-göttlichen Lebens vor, das in der zweiten Hälfte
des Gedichtes mit überschwänglichen Worten geschildert wird. So
ist diese Wendung, die zunächst nur den Begriff des „Sich-erniedri-
gens“ zu wiederholen scheint, notwendig, um den Gedanken der
Niedrigkeit zu ergänzen und „bis zum Tode“ weiterzuführen.
Damit hat sich ein klarer religiöser Gedankengang ergeben,
der die Schilderung des geschichtlichen Lebens Christi trägt. Er
ward ein Leben lang in der göttlichen Würde des „Menschensohnes
erfunden“; aber trotz dieser Würde, ja wegen dieser Würde, die
allein die Möglichkeit gibt, hat er mit freiem Willen seinen Tod als
Tat seines Gehorsams — es läßt sich nicht anders sagen — voll-
zogen. Es ist der göttliche Beweis einer beispielhaften Demut.
Wenn andere prophetische Gestalten — es sind bezeichnenderweise
die sogenannten Vorläufer des Messias — den „Tod nicht zu sehen“
brauchten, so hat er auch diese für Boten Gottes gleichsam mögliche
Gnade nicht in Anspruch genommen, sondern dem ersten Beispiel
des Opfers, der Menschwerdung, die gleichsam die Vernichtung der