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Ernst Lohmeyer:
prinzipes, der lauteren religiösen Geltung handelt. Hier liegt der
Grund für die immer schärfer betonte Transzendenz Gottes, die
immer klarer gesehene Distanz alles „Weltlichen“ von ihm; es
drängt die metaphysische Bestimmtheit des Glaubens, der grund-
sätzlich fern von Geschichte und Natur sich gesetzt und vollendet
weiß, nach Bewußtheit. Darum muß die Beziehung Gottes zur
Welt immer rätselvoller werden, die Welt zum Schauplatz fremder
letztlich widergöttlicher Mächte sich wandeln. Und rätselvoll wird —
so darf man vermuten — auch der Name Gottes „der Herr“.
Er prägt seine unveräußerliche Beziehung zur Welt aus; und eben
ihre Möglichkeit scheint sich auf lösen zu müssen, je reiner Gott
in seiner Unnahbarkeit und Heiligkeit gefaßt wird.
Diese Metaphysik scheint die religiösen Grundlagen des jüdi-
schen Volkes zu untergraben, nach denen es die einzige von Gott
erwählte Nation ist; und doch sind sie mit seiner Existenz gegeben,
und durch sie Gott unlöslich an seine Geschichte und damit an die
der Welt gebunden. Einem Deuterojesaja war es noch möglich,
eben dieses Volk in seinem religiösen und geschichtlichen Dasein
als die groß geschaute Mitte zwischen Gott und Welt zu fassen;
es geschieht auf Grund der angedeuteten Metaphysik, die die Mög-
lichkeit einer großen Geschichtsdeutung gewährt. Denn wer wider
die Welt steht—-und dies ist die geschichtliche Lage des jüdischen
Volkes —, der steht ewig bei Gott und Gott bei ihm; und wer bei
Gott steht —und dies ist seine religiöse Lage—, der steht geschicht-
lich wider die Welt und die Welt wider ihn. Und diese Koinzidenz
von Leid und Gnade, von Not und Heil ist der göttliche Sinn von
Geschichte und Welt, der einst in offenbarer Herrlichkeit hervortre-
ten wird, nicht mehr durch menschliche, sondern durch göttliche Tat.
In dieser Betrachtung sind alle Probleme des späteren Juden-
tums enthalten. Ist bei Deuterojesaja noch die Anschauung von
dem Volk als der verbindenden Mitte zwischen Gott und Welt
wie selbstverständlich gegeben, so wird mehr und mehr diese Selbst-
verständlichkeit zur Frage. Sie liegt nicht mehr in der Gegebenheit
der geschichtlichen Existenz, sondern entweder in der Gegebenheit
bestimmter religiöser Güter, sei es Gesetz oder Kultus, oder in der
Aufgegebenheit sittlicher Normen. Wie jene Güter darum langsam
weltweiten Sinn gewinnen und über ihre geschichtliche Tatsäch-
lichkeit hinaus grundsätzliche Bedeutung erlangen •— es ist die
notwendige Folge jener Metaphysik—, so prägen diese Normen den
„individuellen“ Zug der Frömmigkeit dem Volke ein. So wird
Ernst Lohmeyer:
prinzipes, der lauteren religiösen Geltung handelt. Hier liegt der
Grund für die immer schärfer betonte Transzendenz Gottes, die
immer klarer gesehene Distanz alles „Weltlichen“ von ihm; es
drängt die metaphysische Bestimmtheit des Glaubens, der grund-
sätzlich fern von Geschichte und Natur sich gesetzt und vollendet
weiß, nach Bewußtheit. Darum muß die Beziehung Gottes zur
Welt immer rätselvoller werden, die Welt zum Schauplatz fremder
letztlich widergöttlicher Mächte sich wandeln. Und rätselvoll wird —
so darf man vermuten — auch der Name Gottes „der Herr“.
Er prägt seine unveräußerliche Beziehung zur Welt aus; und eben
ihre Möglichkeit scheint sich auf lösen zu müssen, je reiner Gott
in seiner Unnahbarkeit und Heiligkeit gefaßt wird.
Diese Metaphysik scheint die religiösen Grundlagen des jüdi-
schen Volkes zu untergraben, nach denen es die einzige von Gott
erwählte Nation ist; und doch sind sie mit seiner Existenz gegeben,
und durch sie Gott unlöslich an seine Geschichte und damit an die
der Welt gebunden. Einem Deuterojesaja war es noch möglich,
eben dieses Volk in seinem religiösen und geschichtlichen Dasein
als die groß geschaute Mitte zwischen Gott und Welt zu fassen;
es geschieht auf Grund der angedeuteten Metaphysik, die die Mög-
lichkeit einer großen Geschichtsdeutung gewährt. Denn wer wider
die Welt steht—-und dies ist die geschichtliche Lage des jüdischen
Volkes —, der steht ewig bei Gott und Gott bei ihm; und wer bei
Gott steht —und dies ist seine religiöse Lage—, der steht geschicht-
lich wider die Welt und die Welt wider ihn. Und diese Koinzidenz
von Leid und Gnade, von Not und Heil ist der göttliche Sinn von
Geschichte und Welt, der einst in offenbarer Herrlichkeit hervortre-
ten wird, nicht mehr durch menschliche, sondern durch göttliche Tat.
In dieser Betrachtung sind alle Probleme des späteren Juden-
tums enthalten. Ist bei Deuterojesaja noch die Anschauung von
dem Volk als der verbindenden Mitte zwischen Gott und Welt
wie selbstverständlich gegeben, so wird mehr und mehr diese Selbst-
verständlichkeit zur Frage. Sie liegt nicht mehr in der Gegebenheit
der geschichtlichen Existenz, sondern entweder in der Gegebenheit
bestimmter religiöser Güter, sei es Gesetz oder Kultus, oder in der
Aufgegebenheit sittlicher Normen. Wie jene Güter darum langsam
weltweiten Sinn gewinnen und über ihre geschichtliche Tatsäch-
lichkeit hinaus grundsätzliche Bedeutung erlangen •— es ist die
notwendige Folge jener Metaphysik—, so prägen diese Normen den
„individuellen“ Zug der Frömmigkeit dem Volke ein. So wird