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Nikolaus [Hrsg.]; Hoffmann, Ernst [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1928/29, 3. Abhandlung): Cusanus-Texte: I. Predigten, 1: Dies sanctificatus vom Jahre 1439 — Heidelberg, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.39951#0043
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Cusanus-Texte. I. „Dies Sanctificatus“.

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Beziehungen zu verfolgen, welche Cusanus zu jeder einzelnen hat;
denn trotz all seiner Abhängigkeit von den Lehrinhalten der
Summen und Sentenzen und von gewissen Motiven der Mystik ist
seine eigene Denkart und Systembildung doch bereits eine von
Grund aus andere. Es genügt auch nicht, die Überzeugung des
Cusanus vom Wesen Gottes religionsphilosophisch zu messen an
den Ideen der drei großen Epochen des prophetisch-monotheisti-
schen Gedankens, der jüdischen, christlichen und islamischen; das
würde nur den theologischen und christologischen Teil seiner Syste-
matik angehen, sein Philosophieren geht aber darüber hinaus: er
benutzt die „negative Theologie“ nicht nur, um den Begriff Gottes
als der logischen Bestimmung unzugänglich zu erweisen, sondern
zugleich um das Universum auf eine neue Art bestimmbar zu
machen1.
Der rechte Anfang scheint mir vielmehr der zu sein, daß man
zunächst die grundsätzlichen logischen Fundamente betrachtet, die
.sein ganzes Lehrgebäude tragen und in all seinen Teilen als system-
bildende Faktoren wirken. Diese Fundamente gehören zum Be-
stände ganz frühantiker Lehrstücke; und gerade dies ist für
Cusanus mehr als vieles andere kennzeichnend, daß griechische
Denkmotive, frei geworden aus dem scholastischen Gedanken-
mosaik, nunmehr in ihrer Selbständigkeit neu erstehen und sich
.systembildend auswirken2. Cusanus ist vor allem der Philosoph

1 Hier hat Ernst Cassirer mit seinem Buche Individuum und Kosmos
in der Philosophie der Renaissance (Studien der Bibi. Warburg, 1927) der
Forschung die Wege gewiesen. Selbstverständlich wird man die Gefahr ver-
meiden müssen, Cusanus zu sehr als Begründer der modernen Wissenschaft
zu sehen; aber man hat sich doch stets gegenwärtig zu halten, wie noch in
■der Renaissance die thomistische Richtung durch ihre Rangordnung der
Wissenschaften alle auf Empirie, Experiment und Induktion beruhenden
Disziplinen als unechtes oder niederes Wissen von der wahren, spekulativen
Erkenntnis abtrennte und nur Dialektik und Metaphysik als in höherem
Sinne legitimiert gelten ließ. Wer das festhält, wird die epochemachende
methodische Bedeutung nicht unterschätzen, welche durch den (grundsätzlich
platonischen) Schnitt gegeben war, den Cusanus zwischen Finites und In-
finites gelegt hatte. Er eröffnete die Möglichkeit, mit den Grenzen auch die
Ansprüche der Ratio zu bestimmen.
2 Dies ist das "Neue’ an Cusanus: daß die 'Alten’ niemals vorher so
.gewirkt haben wie auf ihn in der Struktur und der Gedankenfügung seines
Systems. Der Heraklitismus ist es, den Cusanus als Erleuchtung erlebte: in
mari ex Graecia rediens (credo superno dono a patre luminum, a quo omne
■datum optimum) ad hoc ductus sum, ut incomprehensibilia incomprehen-
 
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