Cusanus-Texte. I. „Dies Sanctificatus“.
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In der göttlichen Sphäre der transzendenten Absolutheit1 und
Superlatio also denkt Cusanus heraklitisch, in der weltlichen
Sphäre der rationalen Relation und Komparation denkt er eleatisch
und pythagoreisch. Aber in der Verbindung beider Sphären ist er
Platoniker2; denn die Verbindung zwischen dem Absoluten und
dem Relativen liefert ihm kein Stufenkosmos im thomistisch-
aristotelischen Sinne; auch kein Akt der vergottenden Unio liefert
sie ihm wie den radikalen Mystikern, sondern allein der Begriff der
Methexis, den er im zweiten Buche der Docta Ignorantia mit einer
kritischen Strenge verwendet, wie sie in der Geschichte des Plato-
nismus einzig dasteht.
Es ist hier weder der Ort, auf die epochalen und systematischen
Bedingungen des Cusanischen Platonismus einzugehen, noch zu
fragen, wie es im Laufe einer langen historischen Tradition zu den
Umbildungen kommen konnte, in denen heraklitische, eleatische
und platonische Philosopheme bei ihm auftauchen. Es muß hier
genügen, wenn gesagt wird, daß Heraklits Weltprinzip, das „Eine,
allein weise“ mit Zügen des neuplatonischen εν ausgestattet ist;
daß die eleatische Logik des Seins in den Dienst der negativen
Theologie gestellt ist; und daß das platonische Tmema zwischen
Dingwelt und Ideenwelt zu Gunsten der methodischen Kluft
zwischen Welt überhaupt und Gott zurückgetreten ist.
Nun ist aber Cusanus vor allem christlicher Denker. In
religiösem Sinne zentral ist für ihn weder Weg noch Wahrheit noch
Leben, sondern die Vereinigung der drei Begriffe in dem Ich des
Heilands, der sich diese triadische Funktion zuschreibt. Dies aber
führt uns von der einen Trias auf eine andere, auf die der christ-
lichen Dreieinigkeit.
Das Trinitätsdogma hat bei Cusanus folgende Form: das
Transzendent-Absolute ist christlich der Vater; er ist die Einheit,
1 Cusanus verwendet das Wort absolutus abweichend von Thomas so,
daß zweierlei in dem Worte steckt: erstens die schlechthinige Selbständigkeit,
zweitens die schlechthinige Vollkommenheit. Zwei im antiken Sprach-
gebrauch getrennt gewesene lexikalische Bedeutungen verschmelzen hier seit
Cusanus in eine.
2 Ich meine im Sinne eines genuinen Platonismus. Wie er über den
sogenannten Platonismus des Mittelalters dachte, geht aus D. I. II, 9 hervor.
Vgl. meinen Vortrag „Platonismus und Mittelalter“ (Vorträge der Bibi. War-
burg III S. 17 — 82) und R. Klibansky: Ein Proldos-Fund und seine Bedeu-
tung (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie, Phil.-hist. Kl. 1928/29).
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In der göttlichen Sphäre der transzendenten Absolutheit1 und
Superlatio also denkt Cusanus heraklitisch, in der weltlichen
Sphäre der rationalen Relation und Komparation denkt er eleatisch
und pythagoreisch. Aber in der Verbindung beider Sphären ist er
Platoniker2; denn die Verbindung zwischen dem Absoluten und
dem Relativen liefert ihm kein Stufenkosmos im thomistisch-
aristotelischen Sinne; auch kein Akt der vergottenden Unio liefert
sie ihm wie den radikalen Mystikern, sondern allein der Begriff der
Methexis, den er im zweiten Buche der Docta Ignorantia mit einer
kritischen Strenge verwendet, wie sie in der Geschichte des Plato-
nismus einzig dasteht.
Es ist hier weder der Ort, auf die epochalen und systematischen
Bedingungen des Cusanischen Platonismus einzugehen, noch zu
fragen, wie es im Laufe einer langen historischen Tradition zu den
Umbildungen kommen konnte, in denen heraklitische, eleatische
und platonische Philosopheme bei ihm auftauchen. Es muß hier
genügen, wenn gesagt wird, daß Heraklits Weltprinzip, das „Eine,
allein weise“ mit Zügen des neuplatonischen εν ausgestattet ist;
daß die eleatische Logik des Seins in den Dienst der negativen
Theologie gestellt ist; und daß das platonische Tmema zwischen
Dingwelt und Ideenwelt zu Gunsten der methodischen Kluft
zwischen Welt überhaupt und Gott zurückgetreten ist.
Nun ist aber Cusanus vor allem christlicher Denker. In
religiösem Sinne zentral ist für ihn weder Weg noch Wahrheit noch
Leben, sondern die Vereinigung der drei Begriffe in dem Ich des
Heilands, der sich diese triadische Funktion zuschreibt. Dies aber
führt uns von der einen Trias auf eine andere, auf die der christ-
lichen Dreieinigkeit.
Das Trinitätsdogma hat bei Cusanus folgende Form: das
Transzendent-Absolute ist christlich der Vater; er ist die Einheit,
1 Cusanus verwendet das Wort absolutus abweichend von Thomas so,
daß zweierlei in dem Worte steckt: erstens die schlechthinige Selbständigkeit,
zweitens die schlechthinige Vollkommenheit. Zwei im antiken Sprach-
gebrauch getrennt gewesene lexikalische Bedeutungen verschmelzen hier seit
Cusanus in eine.
2 Ich meine im Sinne eines genuinen Platonismus. Wie er über den
sogenannten Platonismus des Mittelalters dachte, geht aus D. I. II, 9 hervor.
Vgl. meinen Vortrag „Platonismus und Mittelalter“ (Vorträge der Bibi. War-
burg III S. 17 — 82) und R. Klibansky: Ein Proldos-Fund und seine Bedeu-
tung (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie, Phil.-hist. Kl. 1928/29).