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E. Hoffmann und R. Klibansky.
Worte sucht der Gedanke sein Gleichnis. Durch das Verhältnis
von Gott als Schöpfungsprinzip und von Logos als Schöpferwort
wird die Urrelation ebenso unmittelbar angemessen dargestellt wie
durch die Bezeichnung Vater und Sohn. Der Wortleib1 ist „Zeichen“
oder „Symbol“ für übersprachlichen Sinn; und deshalb ist das
Wort für Cusanus sein vornehmliches Mittel, um die letzte Absicht
seiner von ihm selbst als durchaus neuartig angesehenen Philo-
sophie klar zu machen: die Welt als „Kennzeichen“ des Absoluten
zu verstehen. Dies ist der Sinn seines „aenigmatice investigare“.
Alle Namen sind gleichgültig und zufällig; aber die Namengebung
ist Kennzeichen der Sinndeutung. Alles Nennen und Sprechen
gehört zur relativen Region der Comparatio, aber als Akt der Sinn-
deutung ist das Sprechen orientiert nach „termini“, welche ihrer-
seits die Sprache transzendieren und im Absoluten liegen. Wie
Gott das absolute Maß ist für alle relative Messung der Dinge, so
ist er zugleich der superlative Sinn, im Hinblick auf den allein das
komparative Verfahren der Namengebung in der Welt möglich ist.
Christus als Wort ist der Weltsinn. Gott hat ihn ausgesprochen;
wir sollen ihn verstehen. —
Gottes Wort ist also sein unmittelbares Geschöpf und Gleich-
nis, in dem sein absolutes Können, seine „Kunst“ zum Ausdruck
kommt. Im Begriff der Kunst2 aber liegt zugleich der Schlüssel
für das Mysterium, wie aus Einem Vieles werden kann. Die Idee
des Kunstwerkes im Geiste des Künstlers ist einfach, unteilbar und
ohne Zeitlichkeit. Indem aber die Kunst die Idee zur empirischen
Wirklichkeit und Entfaltung bringt, läßt sie sie im Gebiete der
Vielheit, Scheidung und Zeitlichkeit wirken. Das Können des
Künstlers gibt, ohne an eigener Substanz einzubüßen, von der Fülle
des in der Idee „kompliziten“ Seins ab, sowohl wenn aus der Idee
ein Kunstwerk gestaltet wird, als auch, wenn aus der Einen Idee
eine Vielheit von Kunstwerken erzeugt wird, und schließlich wenn
die eine Kunst eine Mehrheit anderer Künste hervorbringt und
1 Die Bedeutung dieser Lehre für die Sprachphilosophie hat E. Cassirer
in der Festschrift für Meinhof untersucht: Die Bedeutung des Sprachpro-
blems für die Entstehung der neueren Philosophie. Rotta’s Buch, La filoso-
fia del linguaggio nella patristica e nella scolastica (Turin 1909) schließt
unmittelbar vor Cusanus ab. Wäre er noch mitbehandelt, so hätte sich das
ganz Andersartige seiner sprachphilosophischen Tendenz deutlich von der
Scholastik abgehoben.
2 Die beiden ersten Kapitel von E. Panqfskys Idea (Studien der Bibi.
Warburg 1924) sind geeignet, diese Stelle historisch zu unterbauen.
E. Hoffmann und R. Klibansky.
Worte sucht der Gedanke sein Gleichnis. Durch das Verhältnis
von Gott als Schöpfungsprinzip und von Logos als Schöpferwort
wird die Urrelation ebenso unmittelbar angemessen dargestellt wie
durch die Bezeichnung Vater und Sohn. Der Wortleib1 ist „Zeichen“
oder „Symbol“ für übersprachlichen Sinn; und deshalb ist das
Wort für Cusanus sein vornehmliches Mittel, um die letzte Absicht
seiner von ihm selbst als durchaus neuartig angesehenen Philo-
sophie klar zu machen: die Welt als „Kennzeichen“ des Absoluten
zu verstehen. Dies ist der Sinn seines „aenigmatice investigare“.
Alle Namen sind gleichgültig und zufällig; aber die Namengebung
ist Kennzeichen der Sinndeutung. Alles Nennen und Sprechen
gehört zur relativen Region der Comparatio, aber als Akt der Sinn-
deutung ist das Sprechen orientiert nach „termini“, welche ihrer-
seits die Sprache transzendieren und im Absoluten liegen. Wie
Gott das absolute Maß ist für alle relative Messung der Dinge, so
ist er zugleich der superlative Sinn, im Hinblick auf den allein das
komparative Verfahren der Namengebung in der Welt möglich ist.
Christus als Wort ist der Weltsinn. Gott hat ihn ausgesprochen;
wir sollen ihn verstehen. —
Gottes Wort ist also sein unmittelbares Geschöpf und Gleich-
nis, in dem sein absolutes Können, seine „Kunst“ zum Ausdruck
kommt. Im Begriff der Kunst2 aber liegt zugleich der Schlüssel
für das Mysterium, wie aus Einem Vieles werden kann. Die Idee
des Kunstwerkes im Geiste des Künstlers ist einfach, unteilbar und
ohne Zeitlichkeit. Indem aber die Kunst die Idee zur empirischen
Wirklichkeit und Entfaltung bringt, läßt sie sie im Gebiete der
Vielheit, Scheidung und Zeitlichkeit wirken. Das Können des
Künstlers gibt, ohne an eigener Substanz einzubüßen, von der Fülle
des in der Idee „kompliziten“ Seins ab, sowohl wenn aus der Idee
ein Kunstwerk gestaltet wird, als auch, wenn aus der Einen Idee
eine Vielheit von Kunstwerken erzeugt wird, und schließlich wenn
die eine Kunst eine Mehrheit anderer Künste hervorbringt und
1 Die Bedeutung dieser Lehre für die Sprachphilosophie hat E. Cassirer
in der Festschrift für Meinhof untersucht: Die Bedeutung des Sprachpro-
blems für die Entstehung der neueren Philosophie. Rotta’s Buch, La filoso-
fia del linguaggio nella patristica e nella scolastica (Turin 1909) schließt
unmittelbar vor Cusanus ab. Wäre er noch mitbehandelt, so hätte sich das
ganz Andersartige seiner sprachphilosophischen Tendenz deutlich von der
Scholastik abgehoben.
2 Die beiden ersten Kapitel von E. Panqfskys Idea (Studien der Bibi.
Warburg 1924) sind geeignet, diese Stelle historisch zu unterbauen.