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Nikolaus [Editor]; Hoffmann, Ernst [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1928/29, 3. Abhandlung): Cusanus-Texte: I. Predigten, 1: Dies sanctificatus vom Jahre 1439 — Heidelberg, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.39951#0053
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Cusanus-Texte. I. „Dies Sanctificatus“. 53
unter sich läßt1. So symbolisiert die Kunst das gänzlich irrationelle
Verhältnis von complicatio und explicatio. Wie der Punkt kom-
plizit das enthält, was explizit zur Linie wird; wie im kompliziten
Jetzt die ganze explizite Zeitreihe, im Identischen die Diversität,
in der Gleichheit die Ungleichheit, in der Eins die Zahlenreihe, in
der Ruhe die Bewegung komplizit enthalten ist, wie also stets in
der Einheit das Prinzip der Entfaltung ruht, so ruht in Gott die
Welt: sie ist Explikation seines kompliziten Seins. Daher ist der
trinitarische Charakter aller weltlich-konkreten Existenzen legi-
timiert als Explikation derjenigen Dreieinsheit, welche in Gott
komplizit ist. Dies ist der Sinn der ewigen Zeugung: der Logos-
gedanke ist das von Gott her leuchtende Licht2, in dessen Helligkeit
unser Denken das trinitarische Sein der Dinge als Gleichnis seines
Wesens begreifen kann.
3. Zum zweiten Teile der Predigt.
Der philosophische Sinn der ewigen Geburt lag auf meta-
physischem und erkenntnistheoretischem Gebiete; der philo-
sophische Sinn der Fleischwerdung liegt auf ethischem Gebiet. Hat
Gott das Universum zu seinem Ebenbilde gemacht, so liegt hierin
schon das dem Universum eigentümliche Sein beschlossen; der
Sinn von Christi Fleischwerdung aber bedeutet für die Menschheit
kein Sein, sondern ein Sollen. Der Weg zum deiformis führt über
den christiformis.
Bei der „Gottförmigkeit“ des Menschen als seiner sittlichen
Aufgabe handelt es sich nicht um Vergottungsmystik3 sondern um
Teilhabe am höchsten Gut. Sie muß je nach Bemühen des Menschen
individuell verschieden sein, so daß moralisch zwei Personen eben-
sowenig „präzis gleich“ sein können wie ontologisch zwei Dinge.
Überall gilt, daß das Viele am Einen nur in „verschiedener“
Weise partizipieren kann.
1 Vielleicht hängen die betr. Worte mit dem Intellektualismus noch der
Renaissance-Ästhetik zusammen: Wissenschaftliche Erkenntnis und künst-
lerisches Können sind im letzten Grunde eins; daher ist diejenige Kunst die
ranghöchste, welche das reichste Wissen voraussetzt.
2 Über die Lichtmetaphysik, deren Symbolen auch Cusanus folgt,
vgl. Baeumkers Abhandlung über den Platonismus des Mittelalters (in Bei-
träge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters XXV).
3 Die Widerlegung der abstraktiven und der mystischen Logik gibt
Cusanus bei Erörterung des Problems „Universum und Universalia“ im
zweiten Buche der D. I.
 
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