Metadaten

Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1929/30, 3. Abhandlung): Das Universum des Nikolaus von Cues — Heidelberg, 1930

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39956#0017
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Cusanus-Studien: I. Das Universum des Nikolaus von Cues. 17
beider bedenkt: Indem Cusanus in den Begriff des Berylls beides
hineingelegt hat, erstens die Koinzidenz von konkav und konvex
und zweitens das explizierende Sichtbarmachen des vorher Unsicht-
baren, hat er selber die Synthesis beider Lehrstücke gefordert. Sie
stellt sich folgendermaßen dar:
Im Unendlichen, so sahen wir, kommen die Gegensätze des
Endlichen zur Koinzidenz, wie der Gegensatz von endlichem Kreis
und endlichem Quadrat im unendlichen Polygon. Das Unendliche
ist also Gegenstand des Denkens, aber nicht in seinem Wie, nur
in seinem Daß; in seinem Sein also nur soweit, daß es ermöglicht,
gerade die Schranke der Erkenntnis als Schranke zu erkennen. Die
Erkenntnis der Schranke ist lgnorantia, weil sie uns das Absolute
verschließt; aber docta, weil das endliche Wissen sich als endlich
und damit als einer komparativen, relativen Denkform mächtig
erkennt.
In diesem Gedanken liegt nun schon der Ansatz zum zweiten
Lehrstück: Wenn die denkende Vernunft in ihrem Geschäft, End-
liches zu erkennen, das Unendliche als methodisches Prinzip ver-
wenden kann, so folgt, daß sie selber im Erkennen des Endlichen
nicht restlos aufgehen kann. Die Funktion der Vernunft, End-
liches vermöge des Unendlichen zu deuten — die Zahl d urch Rekurs
auf die unendliche Zahl, das gesprochene Wort im Hinblick auf
einen absoluten Sinn usw. —, diese intellektuelle Kraft zeugt für
ihre eigene Kraftquelle als für eine Potenz von so schöpferischer
Einheit, daß diese Einheit berufen ist, sich in Vielheit auszubreiten;
das Einfältige ist berufen, in Vielfältiges sich zu entwickeln. Zu-
nächst also steht dies Eine fest: beide Lehrstücke wollen erkenntnis-
theoretisch darauf hinaus, daß, wo echtes Erkennen ist, es sich
nicht um ein Abbilden gegebener Dinge handelt, sondern um eine
Aktivität der Vernunft, die dem Absoluten verwandt, ihr eigenes
Wesen in eine Vielheit von Erkenntnisarten und Erkenntnisinhalten
auseinanderfaltet, so wie der Punkt explizit zur Linie, das- Jetzt
explizit zur Zeitreihe wird. Die Einfalt, der Urgrund der Vernunft,
ihr komplizites Minimum, faltet sich auseinander und wird z. B.
zur Reihe der zehn Kategorien oder zum System der Zahlen oder
zur Ordnung der Größen oder der musikalischen Töne oder der
Wortbedeutungen. All diese Reihung ist Significatio. Alle Gesetze,
nach denen wir dann das Empirische in Klassen teilen und ordnen,
haben diesen Ursprung. Die ganze Systematik der Wissenschaften
beruht auf dieser Potenz des Geistes, zugleich Einheit zu bleiben

Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1929/30. 3. Abh.

2
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften