Metadaten

Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1929/30, 3. Abhandlung): Das Universum des Nikolaus von Cues — Heidelberg, 1930

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39956#0029
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Cusanus-Studien: I. Das Universum des Nikolaus von Cues.

29

Möglichkeit, das Transzendente irdisch zu vertreten. Das Motiv
der Teilhabe soll also das Individuelle nicht auslöschen, sondern
gerade legitimieren und retten. Dieser Gedanke schlägt die Brücke
vom Platonismus zur Renaissance, vom ÖXov der Antike zum Ich-
Bewußtsein und Optimismus des 16. Jahrhunderts. Hier vor allem
ist wirksam das christliche Verständnis für Wert und Wesen der
Individualität. Aber die Folge muß natürlich für Cusanus eine
sehr andere philosophische Auffassung vom Wesen der christlichen
Kirche sein, als Thomas sie gehabt hatte. Bei Thomas steht die
Eine, wahre, christliche Kirche absolut als alleiniges legitimes
Gefäß des religiösen Wahrheitsgehaltes allen anderen, prinzipiell
falschen heterodoxen Religionen gegenüber. Cusanus aber kommt
zu der Konsequenz: In gewissem Sinne sind alle Religionen wahr,
denn sie verehren irgendwie das Göttliche und Heilige; keine erfaßt
das Absolute, aber alle wollen es erfassen; daher ist kein Grund zu
Zwist und Streit; sie sollten sich unter voller Wahrung der Eigen-
art und Eigenheit jeder einzelnen zusammentun, und die 'katho-
lische’ Kirche sollte in dem Sinne zu einer Universalreligion werden,
daß sie die Varietas rituum nicht auslöscht, sondern umfaßt. Wie
im Kosmologischen und Physikalischen über der bloßen Summe der
Dinge der Gesamtbegriff des Universums gebildet wird — ein Uni-
verselles, das weder absolut noch relativ ist, sondern das 'konkrete
Maximum’ — ein grundsätzlich 'Anderes’ zum Ideellen, Tran-
szendenten, aber ein grundsätzlich Totales im Gegensatz zur 'Hin-
fälligkeit’ alles Einzelnen, so sollte im Religiösen Ein Gesamt-
begriff, der der 'Gottesverehrung’ geschaffen werden, der sogar
den Polytheismus einschiießt. So erst würde die Religion gerade
ihre eigenste Aufgabe erfüllen: daß der Gläubige sich mit dem Be-
wußtsein seiner Andersheit gegen das Göttliche durchdringt und
erfüllt. Hat bisher die Verschiedenheit der Religionen nur Haß
und Krieg verursacht, so könnte in Zukunft das Wissen um die
Notwendigkeit der Verschiedenheit gerade das einigende Band und
die für den Frieden1 der Welt so notwendige Concordantia her-
steilen.

1 Der Friedensgedanke des Cusanus ist also anders als der Augustins,
denn diesem gilt die Pax als faktisch nicht auf Erden zu verwirklichen; sie
eignet nur dem Einen Gottesstaate und hat keine umfassende Mächtigkeit.
Auch die Friedenshoffnungen, die seit der Jahrtausendwende wach waren,
hatten anderes Gepräge: in der Idee von Einem Hirten und Einer Herde ver-
einigt sich zwar Nachwirkung des stoischen Universalismus mit christlicher
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften