Cusanus-Studien: I. Das Universum des Nikolaus von Cues.
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Cusanus, der Christ, sagt aber außerdem:
Menschheit ist mehr als Summe von lauter menschlichen
Sonderexistenzen. Menschheit ist Inbegriff und Totalität des
'ascensus hominis interioris in Deum\ Und dieser Inbegriff ist
in Christus erfüllt. Er mußte ja erfüllt sein können, sonst konnte
er nicht konkret sein. Was beim einzelnen Menschen in dem Ge-
wühl seiner mannigfachen Tendenzen nur als Ein Streben unter
anderen erscheint, das gibt der Menschheit ihren Grundcharakter.
Bei Platon kommt nur die Natur, bei Cusanus kommt, als Kulmina-
tion der Natur, die Menschheit in eine mittlere Lage.
Versuchen wir, diesem spekulativen Gedanken eine leichter
verständliche Form zu geben, so lautet sie:
Es war der Bruch gesetzt zwischen dem Natürlich-Einzelnen
und dem Göttlich-Ab sohlten. Und zwar war der Bruch erwiesen
worden durch das Denken: Das Denken kann vom. Endlichen zum
Unendlichen nicht durch Schritte kommen.
Nun aber denken wir nicht nur das Einzelne und jenseits
des Einzelnen das Absolute. Sondern wir denken zwingend auch
eine Totalität alles Einzelnen, einen vermittelnden Begriff, weder
allgemeine Idee noch einzelnen Begriff, sondern wir denken einen
Inbegriff alles Einzelnen im Einen. Und gerade dieser Inbegriff
zeigt das Kennzeichen der Teilhabe am Absoluten in einem Maße,
wie es kein besonderes Einzelnes je haben kann. Denn dieser In-
begriff sagt ja: Nicht nur additive Summe aller Einzelnen, sondern
universale Form für alles Einzelne, umfassender Allgemeinbegriff
des Einzelnen. Also: 'das Einzelne selbst’ ist zum Inbegriff erhoben
und erweitert und damit in Mittellage gebracht, aber in die einzige
Mittellage, die es zwischen Finitem und Infinitem gibt, nämlich:
Universalität de s Einzelnen in einem Natur be griff,
in dem alles Einzelne Glied ist. Das ist Platons1 Lehre, sie ist
griechisch und kosmologisch gedacht.
1 In der christlichen Auffassung vom Universum war schon von Clemens
und Gregor an der platonisch-stoische Gedanke wirksam, daß die Gesetzlich-
keit des All eine Art Gehorsam gegen den Schöpfer sei, und dieser Gedanke
erhielt sich auch im Mittelalter allezeit neben dem aristotelischen Weltbilde.
Aber Cusanus macht einen Schritt weiter. Er bildet den Weltbegriff um zum
Inbegriff der Relationalität und gewinnt so, zunächst grundsätzlich, die Eigen-
form der Kosmoswissenschaft. Neben die Sug7tdß>et,oc tritt die Comparatio;
neben das Gesetz als Befehl Gottes das Gesetz als Norm der Relativität. Statt
einer spekulativen Teleologie, die in den Naturerscheinungen Wohltaten für
die Lebewesen, namentlich für die Christen, sieht, nunmehr eine funktionale
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Cusanus, der Christ, sagt aber außerdem:
Menschheit ist mehr als Summe von lauter menschlichen
Sonderexistenzen. Menschheit ist Inbegriff und Totalität des
'ascensus hominis interioris in Deum\ Und dieser Inbegriff ist
in Christus erfüllt. Er mußte ja erfüllt sein können, sonst konnte
er nicht konkret sein. Was beim einzelnen Menschen in dem Ge-
wühl seiner mannigfachen Tendenzen nur als Ein Streben unter
anderen erscheint, das gibt der Menschheit ihren Grundcharakter.
Bei Platon kommt nur die Natur, bei Cusanus kommt, als Kulmina-
tion der Natur, die Menschheit in eine mittlere Lage.
Versuchen wir, diesem spekulativen Gedanken eine leichter
verständliche Form zu geben, so lautet sie:
Es war der Bruch gesetzt zwischen dem Natürlich-Einzelnen
und dem Göttlich-Ab sohlten. Und zwar war der Bruch erwiesen
worden durch das Denken: Das Denken kann vom. Endlichen zum
Unendlichen nicht durch Schritte kommen.
Nun aber denken wir nicht nur das Einzelne und jenseits
des Einzelnen das Absolute. Sondern wir denken zwingend auch
eine Totalität alles Einzelnen, einen vermittelnden Begriff, weder
allgemeine Idee noch einzelnen Begriff, sondern wir denken einen
Inbegriff alles Einzelnen im Einen. Und gerade dieser Inbegriff
zeigt das Kennzeichen der Teilhabe am Absoluten in einem Maße,
wie es kein besonderes Einzelnes je haben kann. Denn dieser In-
begriff sagt ja: Nicht nur additive Summe aller Einzelnen, sondern
universale Form für alles Einzelne, umfassender Allgemeinbegriff
des Einzelnen. Also: 'das Einzelne selbst’ ist zum Inbegriff erhoben
und erweitert und damit in Mittellage gebracht, aber in die einzige
Mittellage, die es zwischen Finitem und Infinitem gibt, nämlich:
Universalität de s Einzelnen in einem Natur be griff,
in dem alles Einzelne Glied ist. Das ist Platons1 Lehre, sie ist
griechisch und kosmologisch gedacht.
1 In der christlichen Auffassung vom Universum war schon von Clemens
und Gregor an der platonisch-stoische Gedanke wirksam, daß die Gesetzlich-
keit des All eine Art Gehorsam gegen den Schöpfer sei, und dieser Gedanke
erhielt sich auch im Mittelalter allezeit neben dem aristotelischen Weltbilde.
Aber Cusanus macht einen Schritt weiter. Er bildet den Weltbegriff um zum
Inbegriff der Relationalität und gewinnt so, zunächst grundsätzlich, die Eigen-
form der Kosmoswissenschaft. Neben die Sug7tdß>et,oc tritt die Comparatio;
neben das Gesetz als Befehl Gottes das Gesetz als Norm der Relativität. Statt
einer spekulativen Teleologie, die in den Naturerscheinungen Wohltaten für
die Lebewesen, namentlich für die Christen, sieht, nunmehr eine funktionale
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