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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1929/30, 3. Abhandlung): Das Universum des Nikolaus von Cues — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.39956#0038
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Ernst Hoffmann.

Das Problem, dem alle drei Lehrstücke dienen, ist unzweifel-
haft rein mittelalterlich, scholastisch: das Verhältnis von Gott und
Welt. Überlegen wir aber, unter welchen Gesichtspunkten die
Scholastik vor Cusanus dies Problem anzugreifen versucht hat, so
sehen wir leicht: die Originalität des Cusanus besteht nicht in
einer neuen Art des Resultates, sondern — wie es Cassirer treffend
ausgedrückt hat1 * — in einer neuen '"Kategorie5, mit deren Hilfe er
zum Resultate kommt. Begreifen wir dies, so werden wir die schein-
baren Widersprüche zwischen Coincidentia und Complicatio, zwi-
schen Explicatio und Christologie leicht auflösen.
Alle christliche Philosophie vor Cusanus war auf vier Wege
angewiesen, um von der Welt zu Gott zu kommen, im Gegensatz
zu ihnen aber ist der Weg des Cusanus ein ganz anderer und neuer:
Für alle, auch für Cusanus, ist verbindlich—wie sich von selbst
versteht — der Schöpfergedanke der Bibel. Aber wie kann dieser
Schöpfergedanke rational gemacht werden? Wie kann die Gott-Welt-
Relation gedacht,wie kann das Geglaubte beweisbar gemacht werden?
1. Auf der äußersten Linken stehen die Nominalisten. Sie er-
klären: eine Rationalisierung ist hier gar nicht möglich; Glaube und
Wissen sind grundsätzlich zweierlei. Wir können von der Gott-
Welt-Relation nichts wissen, denn zuvor müßten wir von Gott
etwas wissen. Das aber ist unmöglich. Denn Gott ist eine Idee,
und Ideen sind dem Denken unzugänglich. LInsere Begriffe sind
Wörter, von Wörtern aus abstrahieren wir, wir bilden Universalia,
Allgemeinbegriffe; aber diese sind unwirklich. Wir kommen auf dem
Wege der Abstraktion zu keiner Realität; im Gegenteil, wir entfernen
uns von ihr. Das Problem der Gottheit und der Weltentstehung ist
irrationell. Die Nominalisten verwenden also gar keine Kategorie.
2. Die aristotelischen Realisten sagen: Wir gehen nicht von
Wörtern aus, sondern von Dingen. Alle Naturdinge aber zeigen ein
Streben nach Höherem,eineTendenz derVervollkommnung:höchstes
Ziel ist Gott. Diese teleologische Signatur der Welt ist im Einklang
mit dem Schöpfergedanken; sie könnte gar nicht sein, wenn Gott
nicht die Welt so geschaffen und eingerichtet hätte: er läßt das Reich
der Natur emporsteigen zu dem der Gnade und das der Gnade zu dem
der Herrlichkeit. Dem religiösen Schüpfergedanken wird philoso-
phisch genügt durch eine monistische Weltteleologie. Gott ist Schöp-
fer, sofern er die Weit so geschaffen hat, daß er selber das Ziel ist. Die
aristotelischen Realisten also arbeiten mit der Kategorie der Finalität.
1 Die Bedeutung des Sprachproblems für die Entstehung der neueren
Philosophie (Festschrift für Meinhof, S. 507—514).
 
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