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Rickert, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 1. Abhandlung): Die Logik des Prädikats und das Problem der Ontologie — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.40152#0041
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I. Psychischer Urteilsakt, sprachlicher Satz und logischer Sinn. 33

wieder behauptet hat, daß Urteile mit Rücksicht auf die Wahrheit
als nur „sekundär“ betrachtet werden können, oder gar, daß sie
lediglich etwas wiederholen, was schon vorher in anderer, primärer
Weise als wahr „erkannt“ worden ist, würde die Lehre vom Urteil
im System der Logik nicht zu entbehren sein, weil den sprachlichen
Aussagesätzen, mit denen jede Wissenschaft ihre wahren Erkennt-
nisse darstellt, im erkennenden Ich-Subjekt immer Akte des
Urteilens entsprechen. Die Logik als Wissenschaftslehre wird
unter anderem stets auch Urteilslehre sein. Das ist nicht zu be-
streiten1.
Ebensowenig aber kann geleugnet werden, daß jeder Urteils-
theorie, die im Anschluß an die Urteilsakte des erkennenden Sub-
jekts nach dem Wesen des erkannten Wahren fragt, wie das meist
geschieht, eine Einseitigkeit anhaftet, und daß sie daher zum
mindesten der Ergänzung bedarf. Ja man muß zweifeln, ob es sich
in jeder Hinsicht empfiehlt, die Logik als Lehre vom Wahren mit
einer Theorie des Urteils zu beginnen, und ein solcher Zweifel
wird sich dann besonders geltend machen, wenn man bei dem Worte
„Urteil“ zuerst an einen seelischen Akt des erkennenden Ich
denkt. Gerade dies Ausgehen vom Seelenleben muß bedenklich
erscheinen. Ist denn der Urteilsakt für die Logik mehr als das
Mittel, mit dem das erkennende Individuum sich eines Wahren
bemächtigt, das irgendwie unabhängig vom urteilenden In-
dividuum besteht, und bürgt etwas dafür, daß der seelische Be-
mächtigungsakt schon das Wesen des erkannten Wahren selbst
erkennen läßt ? Als psychisches Gebilde eines Individuums
scheint das Urteil in der Tat für das Wahrheitsproblem „sekundär“
zu sein.
Bei der Behandlung dieser Frage kann man besonders geltend
machen, daß jeder Mensch in seinem Seelenleben von jedem be-
liebigen anderen Individuum abweicht, und daß sich von vorne-
herein nicht sagen läßt, wie weit die individuellen Verschieden-
heiten sich auch auf die Akte des Urteilens erstrecken. Sie können
eventuell von der Art sein, daß sie mit der Wahrheit selbst nichts
mehr zu tun haben, und solche Verschiedenheiten des Urteilens sind
dann logisch unwesentlich. Auf jeden Fall brauchen wir ein Mittel,
um sie begrifflich abzutrennen und auszuschalten, wo das Wahre
selbst in Frage steht. Sonst bringen sie in die Logik Verwirrung.
1 Vgl. hierzu mein Buch: Der Gegenstand der Erkenntnis, 1892,
6. Aufl. 1928.

Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad. phil.-hist. Kl. 1930/31. 1. Abh.

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