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Rickert, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 1. Abhandlung): Die Logik des Prädikats und das Problem der Ontologie — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.40152#0043
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I. Psychischer Urteilsakt, sprachlicher Satz und logischer Sinn.

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Oder sollte es unmöglich sein, das Seelenleben der Individuen
beim Feststellen des Wesens der Wahrheit zunächst wenigstens
einmal bei Seite zu lassen ? Wir wissen doch —- wird man vielleicht
sagen — nichts von einer Wahrheit, ohne sie seelisch aufzufassen
und dann eventuell zu urteilen. Gewiß nicht. Aber können wir
nicht trotzdem die seelischen Akte des Urteil'ens dabei ebenso
ignorieren, wie z. B. der Physiker seine seelischen Wahrnehmungs-
akte ignoriert, wenn er Körper untersucht? In beiden Fällen ist
individuelles Seelenleben faktisch nicht zu entbehren, da ohne
ein psychisches Sein auch die zu erforschenden Körper dem Phy-
siker so wenig bekannt oder wissenschaftlich zugänglich werden
würden, wie dem Logiker die wahren Gebilde, die ihn interessieren.
Aber ebenso wie die seelischen Akte des Wahrnehmens der Körper
nicht das sind, worauf es der Physik ankommt, ebenso darf die
seelische Struktur des Urteilens, womit wir Wahrheiten erfassen,
nicht als maßgebend gelten für die Struktur der Gebilde, die selber
wahr sind, und welche die Logik untersuchen will. Der Unter-
schied zwischen dem Akt des Auffassens und dem aufgefaßten Ge-
bilde ist in beiden Fällen prinzipiell, und es dürfte sich daher
empfehlen, für das wahre Gebilde, nach dem der Logiker als nach
seinem „Gegenstände“ fragt, auch den Terminus „Urteil“ zu ver-
meiden, der immer an etwas Seelisches denken läßt. Redet doch
der Physiker stets von Körpern als von seinen „Gegenständen“ und
nicht von Wahrnehmungsakten, mit denen er die Körper auffaßt.
Warum sollen wir in der Logik es nicht ebenso machen ?
Jedenfalls müssen wir, falls wir den Namen „Urteil“ für das
logische Gebilde beibehalten wollen, uns darüber klar sein, daß
das Wort dann keinen individuellen seelischen Akt des urteilenden
Subjekts mehr bedeuten kann, denn das Wahre ist das von allem
individuellen psychischen Sein unabhängig für sich bestehende,
überindividuelle Gebilde. Ohne diese Voraussetzung verliert
jede Logik und jede Wissenschaft ihren Sinn.
Die Notwendigkeit einer radikalen Trennung des logischen
Problems der Wahrheit vom psychologischen Problem des Urteils-
aktes sei noch an einem Beispiel aufgezeigt, das uns etwas näher
an unser besonderes Problem heranführt.
Die Frage nach der logischen Struktur der wahren Erkenntnis
wird oft unter der Voraussetzung behandelt, daß das Urteil, in dem
man die Wahrheit zu haben glaubt, zwar keine bloße „Vorstellung“
sei, aber doch seinem Wahrheitsgehalt nach aus Vorstellungen

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