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Rickert, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 1. Abhandlung): Die Logik des Prädikats und das Problem der Ontologie — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.40152#0156
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Zweiter ontologischer Teil.

dann vollends Erkenntnisformen, nicht bloße Denkformen sind.
Es gibt eben überhaupt nichts, d. h. kein etwas, was nicht im all-
gemeinsten Sinne des Wortes „ist“. Ja sogar dem „Nichts“ kann
man eventuell ein Sein von besonderer Art zuschreiben, und man
hat es getan. Dann ist auch das Nichts ein seiendes Etwas. Nur
bleibt dann wohl die besondere Art dieses Seins notwendig un-
bekannt oder unbestimmt, und das „Nicht“ in dem Wortgebilde
„Nichts“ betrifft dann nicht so sehr das „Etwas“ als vielmehr die
nähere Bestimmung seiner Seinsart. Unter den allgemeinsten Be-
griff des Seins als einer bloßen Denkform ist aber auch das Nichts
zu nehmen, falls man es überhaupt soll „denken“ können. Davon
wird am Schluß noch die Bede sein, wenn wir zu „Sein und Nichts“
kommen.
Doch alle diese Probleme erörtern wir vorläufig nicht weiter.
Sie führen in mancher Hinsicht über die bloße Erkenntnistheorie
hinaus. Hier kam es, wie gesagt, nur darauf an, den allg emein st en
Begriff des Seins überhaupt als Denkform nicht nur von dem
der Erkenntnisform zu trennen, sondern zugleich vor jeder will-
kürlichen Verengerung seines Umfanges zu schützen, die seinen
Charakter als den einer bloßen Denkform zerstören würde. Sobald
wir verstanden haben, was das Wort „sein“ in unserm Zusammen-
hang seiner wahrhaft allgemeinsten Bedeutung nach sagen will,
werden wir keinen Anstoß mehr daran nehmen, daß das „Sein
überhaupt“ zwar Urprädikat des wahren Denkens sein soll, aber
nicht Urprädikat des wahren Erkenne ns genannt werden darf.
Es bleibt dabei: um Prädikat einer Erkenntnis, die gegenständliche
Wahrheit enthält, zu werden, bedarf das Sein stets eines Zusatzes
wie „wirklich“, „geltend“ usw„ mag dieser sprachlich zum Aus-
druck gebracht sein oder nicht, und sobald das klar ist, rechtfertigt
sich auch von neuem unser scheinbar allzu umständliches Ver-
fahren, das wir anwendeten, um den Begriff des Urprädikats einer
Erkenntnis zu bestimmen. Wir mußten — das zeigt sich immer
wieder — von einer Mehrheit besonderer Beispiele nicht nur aus-
gehen, sondern bei einer Mehrheit von Urprädikaten der Erkenntnis
auch stehen bleiben. Erst so gelangen wir zu dem Begriff eines Ur-
prädikats jeder gegenständlichen Erkenntnis. Genauer gesagt:
Erkenntnisprädikate bleiben die Urprädikate nur, solange sie sich
als eine Mehrheit darstellen. Ignoriert man die besondere Art des
Seins, die jedes von ihnen aussagt, und begnügt sich mit dem
allgemeinsten Sein überhaupt, um dann diese bloße Denkform
 
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