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Rickert, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 1. Abhandlung): Die Logik des Prädikats und das Problem der Ontologie — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.40152#0211
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X. Sein und Nichts.

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sein bedeuten, nicht besitzt und insofern nichts „ist“. Wollen wir
für alle die verschiedenen uns bekannten Arten des Seins, die nicht
mit der bloßen Denkform „Sein“ zusammenfallen, sondern Er-
kenntnisprädikate sind, auch einen gemeinsamen Namen haben,
so können wir am besten stets ausdrücklich als von einem „in der
Welt sein“ reden, und dann die Bestimmung des Nichts so formu-
lieren, daß wir sagen: nichts ist das als seiend zwar gedachte
etwas, das aber nicht in der Welt ist.
So „ist“, um das noch an einem Beispiel zu zeigen, der viel-
genannte „viereckige Kreis“ zwar im Sinne des bloß gedachten
Seins, aber er ist nicht in der Welt. Das Beispiel ist freilich inso-
fern vor Mißverständnissen zu schützen, als man glauben könnte,
ein „viereckiger Kreis“ ließe sich nicht einmal „denken“ und „sei“
daher in keiner der Bedeutungen des Wortes „Sein“. Aber das
beruht dann auf einer zu engen Bedeutung des Wortes „denken“.
Man darf darunter nicht nur das Denken eines widerspruchsfreien
Gebildes verstehen. Gedacht in der hier gemeinten weitesten Be-
deutungwird alles, was sich logisch verstehen läßt, und in dieser
Weise „gedacht“ muß auch der viereckige Kreis sein, d. h. müssen
wir auch die Bedeutung der Worte viereckiger Kreis, mit dem wir
ein Etwas bezeichnen, logisch verstanden, also „gedacht“ haben,
denn sonst könnten wir überhaupt nichts Wahres von ihm aus-
sagen, auch nicht, daß er nicht „ist“. Es kommt dem viereckigen
Kreis also trotz seines widerspruchsvollen Gehalts die Denkform
„Sein“ zu. Nur dabei bleibt es: er ist nicht in der Welt, insbeson-
dere nicht in der „Welt“ der Mathematik, denn er besitzt nicht die
den mathematischen Gegenständen zukommende Erkenntnis-
form des „idealen Existierens“.
Im übrigen brauchen wir nicht einmal zu einem solchen in
sich widerspruchsvollen Gedanken-Gebilde wie dem viereckigen
Kreis zu greifen, um ein Beispiel für etwas zu finden, das zwar die
Denkform des Seins besitzt, dem aber jede Erkenntnisform des „in
der Welt Seins“ fehlt. Alles vielmehr, wovon wir überzeugt sind,
daß es als „Gegenstand“ nicht ist, d. h. weder sinnlich wirklich,
noch unsinnlich geltend, noch übersinnlich wirklich usw. ist, das
alles fällt unter den Begriff des „nicht in der Welt seienden“ Etwas
oder des gegenständlichen Nichts. Damit kommen wir zu
einem klaren, widerspruchsfreien und wissenschaftlich brauchbaren
Begriff des Nicht-Etwas oder des Nicht-Seienden, den wir dann
auch mit dem Worte „das Nichts“ bezeichnen mögen. Wir haben
 
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