Metadaten

Rickert, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 1. Abhandlung): Die Logik des Prädikats und das Problem der Ontologie — Heidelberg, 1930

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.40152#0215
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
X. Sein und Nichts.

207

„nichts“ sofort der Gedanke an das Andere des Einen, das verneint
wird, ein, und daraus entstehen in den meisten Fällen, trotz der
Unvollständigkeit des sprachlichen Ausdrucks, auch für das Ver-
ständnis keine Schwierigkeiten. Überall nämlich, wo es sich um
Alternativen handelt, also um ein Entweder-Oder, wird die
Seite der Alternative, die verneint wird, bereits durch die Negation
als die andere der einen, d. h. als das „Oder“ des dazu gehörigen
„Entweder“ positiv bestimmt. Wenn man z.B. weiß, daß etwas
entweder a oder b sein muß, dann erfährt man dadurch, daß jemand
sagt, es sei nicht a, zugleich daß es b ist. Insofern, als durch das
Wort nicht-a das b bereits positiv festgelegt ist, können wir daher
sagen, daß Negation und Andersheit miteinander Zusammenhängen.
Doch zeigt sich dabei, sobald man den logischen Sachverhalt
erkannt hat, zugleich, daß die Andersheit in Wahrheit immer schon
mehr ist als die bloße Negation, obwohl sie gewiß die Negation
mit einschließt, und daß die bloße Negation daher weit davon
entfernt ist, auch das positive Andere, also in dem Beispiel das b,
mit einzuschließen, indem sie das a verneint. Gerade das aber über-
sieht man leicht, wo Alternativen vorliegen, und darauf, daß man es
übersieht, beruhen dann alle die Erschleichungen der „Dialektik“,
auf die wir schon einmal hingewiesen haben.
Gewiß besteht also der aufgezeigte Zusammenhang von
Negation und Andersheit, aber ebenso gewiß müssen wir daran fest-
halten, daß mit der Negation, die nur Negation ist, sich dort noch
nicht das geringste Positive bestimmen läßt, wo nicht bereits eine
Alternative des Einen und des Andern vorausgesetzt wird und
dann die Negation des Einen zugleich die Bejahung des Andern
bedeuten muß, weil man weiß: tertium non datur. Wir können
das dann auch so zum Ausdruck bringen, daß wir sagen: die Anders-
heit geht der Negation, die uns im Denken irgendeinen Schritt
weiter führen soll, notwendig logisch voran1.
1 Es läßt sich beweisen, 'daß die Andersheit der Negation überhaupt
logisch vorangeht. Das habe ich zuerst in meiner Abhandlung über „Das
Eine, die Einheit und die Eins“, Logos II (1911), zu zeigen versucht. (2. Aufl.
als erstes Heft der „Heidelberger Abhandlungen zur Philosophie und ihrer
Geschichte“, 1924.) Ich kann die dort ausgeführten Gedanken hier nicht
wiederholen, möchte aber wenigstens einige Sätze zur Orientierung anführen:
„Die Negation macht aus dem Etwas lediglich das Nicht-Etwas oder das
Nichts. Sie läßt den Gegenstand überhaupt sozusagen verschwinden, und
ebenso kann durch Nicht-Identität niemals Andersheit oder Verschiedenheit
entstehen. Das geht schon daraus hervor, daß die Negation selbst als Gegen-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften