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Gundolf, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 2. Abhandlung): Seckendorffs Lucan — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.40153#0003
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Veit Ludwig von Seckendorff, (1626—1692) Kanzler der
Universität Halle, berühmt als einer der ersten Rechtsgelehrten
und Kirchenhistoriker der protestantischen Kirche im 17. Jahr-
hundert, hat innerhalb der Opitzianischen Poeterei seinen eigen-
tümlichen Platz durch eine metrische Neuerung. Er hat einen
Versuch gemacht, die lateinischen Hexameter von Lucans Phar-
salia in ungereimten deutschen Alexandrinern wiederzugeben, und
war sich bewußt, daß er damit dem gesamten Geschmack der
deutschen Zier- und Lehrpoesie widersprach. Für die Nachfolger
des Opitz war das Reimen gleichsinnig mit Dichten überhaupt und
sie konnten sich Verse ihrer eigenen Sprache nicht ohne das Klang-
spiel am Ende denken. Ein großer Teil der Dichtkunst im 17. Jahr-
hundert beruhte auf den Mühen neuer Reimkunststücke, seltsamer
Strophengewinde und schwieriger Klangbindungen oder -Ver-
schränkungen. Schottel, Harsdörffer, Zesen seien hier nur
angeführt als die sichtbaren Vertreter dieser losgelassenen Wort-
kunst, welche nicht aus einer Fülle gesamtmenschlicher Klang-
und Farbenlust stammt oder einem inneren Überschuß, der sich
im sprachlichen Reigen äußert, oder der magischen Herrschsucht
eines gläubigen Weltfugsehers (wie bei den großen Reimschöpfern
und -findern von Dante bis Tasso), sondern dem nachträglichen
Virtuosentum des Verstands, der sich weidet am Handwerk und
sich dazu behaglich des Wortstoffs bedient. Welche Dichtgesinnung
dem ganzen Reimgewerbe des europäischen Rationalismus zugrunde
liegt, hat sein französischer Großmeister Voltaire verraten: er
meint, ohne Reim sei das Dichten überhaupt keine Kunst. In der
Kunst sah er wesentlich Sieg über Schwierigkeiten. Reime waren
ihm Zäune, die der Pegasus zu überschwingen habe.
Die wenigen ungereimten neuhochdeutschen Verse vor Klop-
stock, vor der Abkehr vom Regel- und Musterwesen und dem
Anruf der antiken Homerischen, Pindarischen, Horazischen Rhyth-
mik finden wir beim Ringen gebildeter deutscher Humanisten mit
einem fremden Sprachgeist, der sie aber nicht durch seine Sprache,
sondern durch exotischen Farbenprunk, durch theatralische Reize
angelockt hatte: etwa des genialischen Landgrafen Moritz von
 
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