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Weinreich, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 7. Abhandlung): Fabel, Aretalogie, Novelle: Beiträge zu Phädrus, Petron, Martial und Apuleius — Heidelberg, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.40158#0007
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Fabel, Aretalogie, Novelle.

7

Es ist im Mittelalter und der Neuzeit nicht anders: auch ihre
Fabel- und Exemplasammlungen nehmen Novellistisches auf, weil
sie der Unterhaltung und Belehrung dienen. Eine boccaccioartige
und von Boccaccio denn auch im Decamerone V 10 aufgenommene
frivole Dreiecksgeschichte gibt Babrius 116 in der Fabel, Apuleius
met. IX 26ff. als Novelleneinlage, Martial II 47 als biologisch-sati-
risches Epigramm.1
Die gleichen Übergänge vom einen Gebiet ins andre beobachten
wir bei den Fables und Gontes en vers der Franzosen, bei Grecourt
u. a. Lafontaine hat seine Matrone d’Fphese in den Fables choisies
von 1694 veröffentlicht, dann erst wurde sie in den 5. Band der
Contes, wo sie eher hingehört, eingereiht.
Was man in der Fabel als „Götterschwank“ bezeichnet, stellt
sich teilweise nach Art und Ton in die Nähe etwa lukianiscber
Götterdialoge oder ihrer Vorstufen, bzw. es gehört zur paignion-
artigen Aretalogie. So z. B. app. 9, Juno, Venus und die Henne,
wo wir in der bekannten Tiresiasanekdote aus der Melampodie das
noch rein „mythische“ Gegenstück besitzen.2 Ein Stück wie app. 3
stellt das alte Märchenmotiv von den törichten Wünschen in einen
Rahmen — Merkur, eine dumme Mutter und eine Hure —, der
von der alten ionischen Götterburleske weit abliegt. Thiele a. a. 0. 361
sagt, das Stück „kann beliebig als Märchen oder Schwank oder,
wenn man will, als Fabel angesehen werden. Mit der modernen
Terminologie kommt man allerdings nicht aus und eine antike ist
nicht vorhanden“3 — es sei denn, man wähle den weiten Begriff
der Aretalogie. Diese merkwürdige Mischung von Legendenton
(Merkur auf Erden wandelnd, hospitium suchend), von Realismus
des sozialen Milieus, von groteskem γελοΐον in der Torheit der

1 Über Martial und Phädrus s. unten S. 37, A. 2. — Ph. I 14, Schuster
als Arzt, gemahnt im Eingang an die skoptischen Epigramme Martials und der
Griechen auf Ärzte (diese Klasse von Epigrammen hat mein Schüler Dolderer
in einer noch ungedruckten Dissertation behandelt). Dagegen daß ein König sich
von diesem nicht bei seinem Leisten gebliebenen Schuster behandeln lassen will,
das gemahnt an Novellen- und Märchenmotive, ohne daß ich irgendwo eine genaue
Entsprechung zur Hand hätte. Wienert 82 weist auch keine nach. —- Ph. 1, 18
(die Frau, die nicht im Bett gebären will, weil da das Übel seinen Anfang ge-
nommen hat) ist, wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, irgendwo in französischen
Contes des 1 7. Jhd. verwertet.
2 Thiele, Hermes 43, 348.
3 Wienert a. a. 0. 78 stellt es zu den „Wunschfabeln“ und gibt Literatur
über törichte Wünsche.
 
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