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Weinreich, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 7. Abhandlung): Fabel, Aretalogie, Novelle: Beiträge zu Phädrus, Petron, Martial und Apuleius — Heidelberg, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.40158#0011
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Fabel, Aretalogie, Novelle.

11

Phädrus erzählt, hat die Sache keinen rechten Sinn. Wenn sie
von vornherein der Braut die viae labores ersparen wollen, warum
nehmen sie nicht (in der Stadt) eine Sänfte oder aus ihrem Stall
(auf dem Land) einen eignen Esel? Nur das nahende Unwetter
kann begründen, daß sie casu den Esel des verschmähten Lieb-
habers requirieren — und den braucht die Geschichte ja zur Pointe.
Man muß annehmen, daß sich der Hochzeitszug noch eine Weile
in Richtung auf die villa des Reichen zubewegt, schließlich aber
unter der Gewalt des wachsenden Unwetters auflöst, wobei nun
der Esel, kehrt machend, zum gewohnten Stall zurücktrabt. Das
notum proxime tecturn (21) hat dann Sinn.
Über Thiele hinaus darf man noch folgende Möglichkeiten für
die Vorlage erwägen. War sie nicht zu knapp gehalten, legte sie
wohl dem Esel auch ein Empfinden für die Annehmlichkeit seiner
schönen Last bei1 und ließ ihn nicht erst v. 22 sich so menschlich
verständig äußern. Ob die Ankunft mythologisch stilisiert war —
der Esel und das Mädchen auf ihm als eine Parallele zum Stier
mit Europa u. ä. ■— läßt sich nicht sagen; derartiger Aufputz war
in vielen Sphären der Literatur beliebt.2 Und schließlich: soll der
Esel, der die Braut zum wahren Geliebten gebracht, ohne alle Be-
lobung und Belohnung geblieben sein? Einen Dank an ihn werden
wir für die Vorlage voraussetzen dürfen auch ganz unabhängig von
der nachher anzustellenden Kombination des Phädrus mit der
Charitenovelle bei Apuleius.
Richtig betont Thiele, daß „die ganze Geschichte auf das
Wunderbare angelegt ist“, aber er hat das nicht weiter ver-
folgt und kam deshalb zu einer unbefriedigenden Anschauung über
die Vorlage. S. 372: „Wir fragen, vielleicht immer vergeblich, stammt
die Novelle im Phädrus wirklich erst aus dem kleinbürgerlichen
Milieu, wie es die Menandrischen Lustspiele zeigen, oder existierte
sie schon weit früher, und welche Form mochte sie etwa zur Zeit
des Stesichoros, Archilochos, Hesiod haben?“
Gar keine, muß ich antworten, denn da existierte sie gewiß
noch nicht. Sie ist, scheint mir, typisch hellenistisch, und ist keine

1 In der Fabel könnte man auf den Asinus hlandus hinweisen, der seinen
Herrn liebkosen will, Babr. 129, Asop des Bomulus 21 Th., Zander, Phädrus
solutus no. δ. Über Apuleius s. unten.
2 Selbst Phädrus hat noch III, 10, 3f. zwei mythologische Exempla (im
Promythion allerdings). Da wir als Vorlage in unserm Fall eine Novelle vermuten,
ist Spielraum da.
 
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