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Weinreich, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 7. Abhandlung): Fabel, Aretalogie, Novelle: Beiträge zu Phädrus, Petron, Martial und Apuleius — Heidelberg, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.40158#0030
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30

Otto Weinreich:

Analyse des Apuleius bzw. Lukian ließ uns manche der vermißten
Punkte bei Lukios von Patrai noch erkennen, der jedoch deshalb
nicht das Vorbild für Phädrus gewesen sein kann, weil dort der ver-
schmähte Freier fehlt. Dagegen gestörte Hochzeit, nachher Einholung
der Braut auf einem Esel, Belohnung des Esels ist für Lukios ge-
sichert. Die aretalogische Färbung ist am stärksten bei Apuleius,
und dies Kapitel (oben S. 17f.) bewies, daß solche fabulae vom Esels-
ritt der Braut, teils als mündliche Tradition, teils literarisch aus-
geschmückt (inVersform?), nicht ungewöhnlich schienen. Unter ihrem
Einfluß malte Apuleius die erste Bettungsepisode aus; auch die
zweite, Phädrus fernerstehende, bot noch gewisse Ähnlichkeiten (Be-
lohnung des Esels, Freude des Volkes u. a.).
Die zu Phädrus parallele Vorgeschichte (erhörter Liebhaber,
verschmähter Rivale) gibt Apuleius erst im zweiten Teil seiner
Charitenovelle. Er hat, entgegen dem Werk des Lukios von Patrae,
eine auch sonst nachweisbare, tragische Dreiecksnovelle durch Per-
soneneinheit mit dem andern Typus verbunden; offenbar deshalb,
weil beiden ein Teil der Handlung und die Konstellation der drei
Hauptpersonen gemeinsam war. Der Zweck der Kontamination
zweier einst selbständiger Typen ließ sich nach weisen: Apuleius
wollte das wechselnde Schicksal des Eselsmenschen auf eine längere
Strecke hin begleiten lassen von einer einheitlich wirken sollenden
Erlebnisreihe einer weiblichen Hauptgestalt. Fotis, Charite, Isis ist
eine symbolhafte Stufenreihe. Und der Chariteroman — wenn wir
so sagen wollen — bildet als größere Einheit im Gesamtwerk einen
künstlerischen Gegensatz zu den vielen novellistischen Einzeleinlagen.
Die Zeit der Vorlage des Phädrus zu bestimmen, ist nur un-
gefähr möglich; über den Hellenismus hinauszugehen, ist kein Anlaß.
Von der Zeit des Stesichoros, Archilochos, Hesiod wird man nicht
mehr reden wollen, nachdem die mannigfachen Fäden zu der helle-
nistischen Novelle und Aretalogie bzw. ihren Nachwirkungen bei
Apuleius aufgewiesen sind. Aus einem Novellenbuch oder einer
Sammlung von „ Variae Historiae“ wird er die Geschichte übernommen
haben (eher als aus einer Exempla-Sammlung, für die sie sich weniger
gut eignet als etwa die Novelle von der treulosen Witwe). Durch
die starke Kürzung hat sie Einbuße erlitten, trotzdem haftet auch
den Versen des Phädrus noch etwas von dem Reiz an, den dies
Stück griechischer Fabulistik besessen haben muß. Und durch
Phädrus als Vorbild hat es dann auch im Mittelalter und in der
Neuzeit noch ein Fortleben gefunden.
 
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