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Weinreich, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 7. Abhandlung): Fabel, Aretalogie, Novelle: Beiträge zu Phädrus, Petron, Martial und Apuleius — Heidelberg, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.40158#0054
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54

Otto Weinreich:

die Leichtgläubigkeit und den Leichtsinn der Weiber wie dafür, daß
auch die Leichtfertigkeit der Männer gebührend bestraft wird. Irgend-
wie näher lokalisieren können wir die Geschichte nicht: Gräber
liegen stets außerhalb einer Stadt, in der Nähe sind Felder. Und
die Frau ist offenbar eine Städterin; καθ’ ημέραν άπιοΰσα πρός
τό μνημεΐον setzt einen weiteren Weg voraus. Der άροτριών τις ist
kein Dorfgenosse (den würde sie als Bäuerin kennen), sondern ein
schlauer Bauer aus der Umgegend, der an der Gräberstraße der
benachbarten Stadt ein Feld hat. Die List des Bauern und die
Pointe vüv επ’ αλήθειας κλαίω haben in der andern Form keine
Entsprechung.
Der einfachen Städterin und dem schlauen Bäuerlein stehen in
der andern Geschichte gegenüber die vornehme Matrone und der
Soldat. Während die äsopische Fassung sich jederzeit und überall
abspielen konnte, setzt die andre kulturgeschichtlich eine bestimmte
Situation voraus: Kreuzigung als Strafart und Bewachung der Ge-
kreuzigten durch Militär. Damit kommen wir in die Zeit römischer
Gerichtsbarkeit auf griechischem Boden1, und wenn wir Petrons
Lokalisierung Ephesos und den Imperator provinciae (über den noch
zu sprechen sein wird) wörtlich nehmen, in die Zeit der Provincia
Asia, von 129 ab. Da diese römische Gerichtsbarkeit schon als
selbstverständlich vorausgesetzt wird, die Matrone auch keine Be-
1 Zwar gibt es Kreuzigung vereinzelt auch in Griechenland (H. Fulda, Kreuz
und Kreuzigung, 1878, 52 f.; Hermann - Thalheim, Griech. Rechtsaltertümer 143,
A. 3), zumal in der Form des άποτυμπανισμός, die wir durch den grausigen Fund
aus Attika genauer kennen (Feramopullos, Ό ’Αποτυμπανισμός, Athen 1923).
Die Kreuzigungsszenen der antiken Romane (Kerenyi a. a. 0. 11 Off., 123ff.) ge-
hören in hellenistisch-kaiserzeitliches Milieu. Entscheidend ist für uns die Be-
wachung durch Militär, und dafür gibt es außer unserer Novelle und den neu-
testamentlichen Berichten offenbar keine Zeugnisse (vgl. Hitzig, RE. IV, 1713;
Thiele, Hermes 43, 366). E. Klostermann, Markusevangelium 2, 1926, S. 187
macht auf Plut. Kleom. 60 (39) aufmerksam, wo p. 823 E οί τό σώμα του Κλεο-
μένους άνεσταυρυυμένον παραφυλάττοντες erwähnt werden. Da handelt es sich
aber nicht um Kreuzigungsstrafe, denn Kleomenes hat in Alexandria durch Selbst-
mord geendet und Ptolemaios hatte den Leichnam dann in ein Fell eingenäht
aufhängen lassen (823 B). — Auch Rohde, Kl. Sehr. II, 190 hat den Archetypus
bestimmt sein lassen durch die römische Kreuzesstrafe. Thiele a. a. 0. 368 da-
gegen scheint höheres Alter zu erwägen, wenn er sagt, die Bewachung des Leich-
nams erinnere sehr an die Geschichte vom Schatzhaus des Rhampsinit. Aber bei
Herodot II, 121 hat die Bewachung des Geköpften doch den Zweck, festzustellen,
ob einer der Vorübergehenden weint, um damit die Familie des Mörders bzw.
den Dieb ausfindig zu machen. Dieses ganz individuelle Motiv kann unmöglich
gegen die von Rohde gegebene Fixierung des Archetypus geltend gemacht werden.
 
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