Der Nationalismus und die deutschen Universitäten.
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größten Teil die Unbefangenheit, mit der nicht nur die berühmten
Jüdinnen des Romantikerkreises, eine Henriette Herz, Doro-
thea Veit-Schlegel und Rahel Levin-Varnhagen, oder jüdische
Adelsfrauen wie Sara Meyer-v. Grotthuss und ihre Schwester
Marianne Meyer-v. Eyrenrerg, morganatische Fürstin Reuss,
im Mittelpunkt des preußisch-deutschen Geistes- und Gesellschafts-
lebens standen, sondern auch die geistige und wissenschaftliche
Produktion Männer wie den Kantianer David Friedländer oder
später den großen Theologen August Neander (Gottschalk89),
wie selbstverständlich in seine Reihen aufnahm. Das begann
erst in dem Augenblick anders zu werden, da die Französi-
sche Revolution, obschon sie ihre Erklärung der Menschenrechte
noch nicht auf die (nur im Elsaß zahlreichen) Juden ausgedehnt
hatte, der Emanzipation mit dem Dekret vom 27. September 1791
die entscheidende Wendung zur plötzlichen mechanischen Einfü-
gung unter Verzicht auf religiöse und kulturelle Angleichung gab.
Waren die preußischen Judenreformen (wie alle anderen) bis Stein
und noch unter ihm „von den wirtschaftlichen, rechtlichen, poli-
tischen und kulturellen Tatsachen“ ausgegangen, „die den Kreis
der Judenfrage umschreiben“, so faßten sie seit Hardenrergs
Emanzipations-Edikt vom 11. März 1812 „die Frage allein aus dem
Gesichtspunkt der Gleichberechtigung aller vor dem Gesetz“90. Das
Edikt war aber nur ein Glied- in der Kette ähnlicher Maßnahmen,
die das Vordringen Napoleons und seiner deutschen Vasallen-
staaten als zwangsläufige Bestandteile der damit zusammenfallen-
den Rechts- und Wirtschaftswandlungen mit sich brachte91.
Ihr Zentrum war das Königreich Westfalen und das in un-
mittelbarer territorialer Verbindung mit ihm stehende Großherzog-
tum Frankfurt. Jeromes Regierung, in der Dohm (freilich neben
vielen anderen alten preußischen Beamten) eine hervorragende An-
stellung (als Gesandter in Dresden) fand und der napoleonische
89 Getaufte scheinen im Zeitalter der Romantik häufig Theologen ge-
worden zu sein wie Ludwig Jonas, der Lieblingsschüler Schleiermachers
und Mitbegründer der Berliner Burschenschaft, Sohn eines Kottbuser noch
jüdischen Kaufmanns, vgl. Lenz, Univ. Berlin 2, 42.
90 So treffend R. Dukas, Die Motive der preußischen Judenemanzipation
(Phil. Diss. Freiburg i. Br. 1915) 7.
91 Diesen weiteren Rahmen nicht beachtet zu haben, ist ein Haupt-
mangel der Jubiläumspublikation von Ismar Freund, Die Emanzipation der
Juden in Preußen (2 Bde., Bin. 1912). Die Rechtsentwicklung noch immer
am besten bei Rönne-Simon a. a. O. 19ff.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-Mst. Kl. 1931/32. 3. Abh.
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größten Teil die Unbefangenheit, mit der nicht nur die berühmten
Jüdinnen des Romantikerkreises, eine Henriette Herz, Doro-
thea Veit-Schlegel und Rahel Levin-Varnhagen, oder jüdische
Adelsfrauen wie Sara Meyer-v. Grotthuss und ihre Schwester
Marianne Meyer-v. Eyrenrerg, morganatische Fürstin Reuss,
im Mittelpunkt des preußisch-deutschen Geistes- und Gesellschafts-
lebens standen, sondern auch die geistige und wissenschaftliche
Produktion Männer wie den Kantianer David Friedländer oder
später den großen Theologen August Neander (Gottschalk89),
wie selbstverständlich in seine Reihen aufnahm. Das begann
erst in dem Augenblick anders zu werden, da die Französi-
sche Revolution, obschon sie ihre Erklärung der Menschenrechte
noch nicht auf die (nur im Elsaß zahlreichen) Juden ausgedehnt
hatte, der Emanzipation mit dem Dekret vom 27. September 1791
die entscheidende Wendung zur plötzlichen mechanischen Einfü-
gung unter Verzicht auf religiöse und kulturelle Angleichung gab.
Waren die preußischen Judenreformen (wie alle anderen) bis Stein
und noch unter ihm „von den wirtschaftlichen, rechtlichen, poli-
tischen und kulturellen Tatsachen“ ausgegangen, „die den Kreis
der Judenfrage umschreiben“, so faßten sie seit Hardenrergs
Emanzipations-Edikt vom 11. März 1812 „die Frage allein aus dem
Gesichtspunkt der Gleichberechtigung aller vor dem Gesetz“90. Das
Edikt war aber nur ein Glied- in der Kette ähnlicher Maßnahmen,
die das Vordringen Napoleons und seiner deutschen Vasallen-
staaten als zwangsläufige Bestandteile der damit zusammenfallen-
den Rechts- und Wirtschaftswandlungen mit sich brachte91.
Ihr Zentrum war das Königreich Westfalen und das in un-
mittelbarer territorialer Verbindung mit ihm stehende Großherzog-
tum Frankfurt. Jeromes Regierung, in der Dohm (freilich neben
vielen anderen alten preußischen Beamten) eine hervorragende An-
stellung (als Gesandter in Dresden) fand und der napoleonische
89 Getaufte scheinen im Zeitalter der Romantik häufig Theologen ge-
worden zu sein wie Ludwig Jonas, der Lieblingsschüler Schleiermachers
und Mitbegründer der Berliner Burschenschaft, Sohn eines Kottbuser noch
jüdischen Kaufmanns, vgl. Lenz, Univ. Berlin 2, 42.
90 So treffend R. Dukas, Die Motive der preußischen Judenemanzipation
(Phil. Diss. Freiburg i. Br. 1915) 7.
91 Diesen weiteren Rahmen nicht beachtet zu haben, ist ein Haupt-
mangel der Jubiläumspublikation von Ismar Freund, Die Emanzipation der
Juden in Preußen (2 Bde., Bin. 1912). Die Rechtsentwicklung noch immer
am besten bei Rönne-Simon a. a. O. 19ff.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-Mst. Kl. 1931/32. 3. Abh.
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