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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0074
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Martin Dibelius:

und daß sie in verschiedener Gruppierung auftreten; daß man den
oder die Hirten allein trifft ohne Herdentier (194, 195), ja daß auch
Tiere ohne Hirten zu finden sind. Dies ist bei dem künstlerisch
hervorragenden Relief von Aquileja der Fall (Mon. Nr. 116), das
drei Widder zeigt, und zwar auf dem Bilde des stiertötenden Gottes.
Gattung und Funktion der Tiere sind hier eindeutig zu bestimmen:
sie befinden sich an der linken Seite des linken Dadophoren; zwei
Widder sind gelagert, in entgegengesetzter Stellung, der dritte frißt
von einem Strauch. Ihr Platz ist unterhalb des Sol, der hier auf
einer Quadriga dargestellt ist. Außer Sol links oben und Luna
rechts oben befinden sich auf dem Bildwerk nur die Figuren, die
immer bei der Stiertötung zugegen sind. Auch das scheint mir zu
zeigen, daß die Widder genau wie Sol und Luna hier nicht als
Handelnde des Mithras-Mythus in Frage kommen, sondern als
himmlische Symbole.
Dann aber haben diese himmlischen Tiere und ihre Hirten
natürlich nichts zu tun mit den höchst irdischen Hirten
auf Bethlehems Feld in der Weihnachtsgeschichte. Dieses
negative Resultat unserer Umschau scheint mir mittelbar auch
durch Justin bestätigt zu werden. Er legt bekanntlich großen
Wert auf die Kritik der mithrischen Parallelen zu christlicher Über-
lieferung und christlichem Kult, er bringt Dialogus 78, 5. 6 die
Geburt Jesu in der Höhle mit den mithrischen Heiligtümern, den
Speläen, in Verbindung; er spielt endlich auch auf die Felsen-
geburt des Gottes an und vermutet in dieser Überlieferung eine
unrechtmäßige Aneignung altdestamentlicher Stellen. Aber er er-
wähnt mit keinem Wort eine mithrische Hirtenszene, die irgendwie
eine Parallele zu der Weihnachtsgeschichte bilden könnte!
Wohl aber darf man in diesem Zusammenhang daran erinnern,
daß der Hirt in anderen orientalischen wie vor allem in griechischen
Sagenkreisen oft eine geachtete Stellung einnimmt1. Der Hirt ist
einer der Gott wohlgefälligen Berufe; er erinnert an die Urzeit,
da Götter noch mit Menschen verkehrten; er lebt in der Natur
und lebt, anders als der Landmann, ein beschauliches Dasein. Daß
der Hirt für besonders befähigt gehalten wird, in diesem Dasein
göttliche Stimmen zu vernehmen, bedarf eigentlich keines Bewei-
1 Vgl. meinen Kommentar zum Hirten des Hermas (Handbuch zum
Neuen Testament, Supplementband) S. 496. Weiteres über die Schätzung
der Hirten in hellenistischer Zeit bei Geffcken, Die Hirten auf dem Felde,
Hermes 1914, besonders S. 3301'.
 
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