Kriegsschuldfragen gehören zu den schwierigsten Problemen
der politischen Geschichte. Uns allen, die wir den Weltenbrand
von 1914 mit sehenden Augen erlebt haben, ist es eine bittere Er-
fahrung geworden, wie schwer es ist, in der Frage der Verantwor-
tung für einen großen kriegerischen Zusammenstoß ein gerechtes
Urteil abzugeben. Auch bei dem ehrlichsten, mit aller Kraft nach
Objektivität strebenden Historiker wird die Entscheidung nur allzu
leicht durch die Meinung der Umwelt, der er durch Geburt ange-
hört, bestimmt. Das Problem von 1914 ist vielleicht das bezeich-
nendste Beispiel für die Schwierigkeit einer Kriegsschuldfrage,
aber es steht keineswegs für sich allein. Ob es sich um den deutsch-
französischen Krieg von 1870/1 oderum den Siebenjährigen handelt,
ob um den Peloponnesischen oder den Hannibalischen — immer
wieder steht wie ein riesiges Fragezeichen das Wort da: wer trägt
die Schuld ? Schon Thukydides hat um die Größe dieses Erkennt-
nisproblems gewußt. Er, der so tief über alles historische Ge-
schehen nachgedacht hat, war der erste, der die Unterscheidung
zwischen 'Rechtsgründen’ und 'Ursachen’ in unsere Wissenschaft
eingeführt hat. Überzeugt, daß im tiefsten Grunde der Krieg,
von dem er handeln will, aus dem unversöhnlichen Gegensatz
zwischen der aufblühenden Macht Athens und den mehr und mehr
in die Verteidigung gedrängten peloponnesischen Staaten mit
Notwendigkeit hervorwachsen mußte, hat er sich doch für ver-
pflichtet gehalten, von den 'Rechtsgründen und Streitigkeiten’
in aller Ausführlichkeit zu reden. Mögen diese Gründe auch nur
im letzten Stadium eines der Katastrophe zueilenden Prozesses
vorgebracht werden, und mag es sich nur noch darum handeln,
dem andern die Schuld zuzuschieben, -— es ist für die Urteilsbildung
wichtig, daß man auch von ihnen Kenntnis hat und ihren inneren
Wert richtig einschätzen lernt. In diesem Sinne will ich an das
Problem von 218 herantreten. Es gilt erst die juristische Frage,
wer hat das formale Recht auf seiner Seite, zu klären, ehe davon
die Rede sein soll ty)v aX7)F£CTa.T7)v 7up6cpaaiv, acpaveGTaTTjv Xoyw
aufzudecken.
I.
Es darf als allgemeine Überzeugung hingenommen werden,
daß für die der Kriegserklärung vorausliegenden Vorgänge von den
erhaltenen Quellen einzig Polybios in Frage kommt. Sowohl
Livius wie die späte Geschichtsschreibung eines Diodor, Appian,
l*
der politischen Geschichte. Uns allen, die wir den Weltenbrand
von 1914 mit sehenden Augen erlebt haben, ist es eine bittere Er-
fahrung geworden, wie schwer es ist, in der Frage der Verantwor-
tung für einen großen kriegerischen Zusammenstoß ein gerechtes
Urteil abzugeben. Auch bei dem ehrlichsten, mit aller Kraft nach
Objektivität strebenden Historiker wird die Entscheidung nur allzu
leicht durch die Meinung der Umwelt, der er durch Geburt ange-
hört, bestimmt. Das Problem von 1914 ist vielleicht das bezeich-
nendste Beispiel für die Schwierigkeit einer Kriegsschuldfrage,
aber es steht keineswegs für sich allein. Ob es sich um den deutsch-
französischen Krieg von 1870/1 oderum den Siebenjährigen handelt,
ob um den Peloponnesischen oder den Hannibalischen — immer
wieder steht wie ein riesiges Fragezeichen das Wort da: wer trägt
die Schuld ? Schon Thukydides hat um die Größe dieses Erkennt-
nisproblems gewußt. Er, der so tief über alles historische Ge-
schehen nachgedacht hat, war der erste, der die Unterscheidung
zwischen 'Rechtsgründen’ und 'Ursachen’ in unsere Wissenschaft
eingeführt hat. Überzeugt, daß im tiefsten Grunde der Krieg,
von dem er handeln will, aus dem unversöhnlichen Gegensatz
zwischen der aufblühenden Macht Athens und den mehr und mehr
in die Verteidigung gedrängten peloponnesischen Staaten mit
Notwendigkeit hervorwachsen mußte, hat er sich doch für ver-
pflichtet gehalten, von den 'Rechtsgründen und Streitigkeiten’
in aller Ausführlichkeit zu reden. Mögen diese Gründe auch nur
im letzten Stadium eines der Katastrophe zueilenden Prozesses
vorgebracht werden, und mag es sich nur noch darum handeln,
dem andern die Schuld zuzuschieben, -— es ist für die Urteilsbildung
wichtig, daß man auch von ihnen Kenntnis hat und ihren inneren
Wert richtig einschätzen lernt. In diesem Sinne will ich an das
Problem von 218 herantreten. Es gilt erst die juristische Frage,
wer hat das formale Recht auf seiner Seite, zu klären, ehe davon
die Rede sein soll ty)v aX7)F£CTa.T7)v 7up6cpaaiv, acpaveGTaTTjv Xoyw
aufzudecken.
I.
Es darf als allgemeine Überzeugung hingenommen werden,
daß für die der Kriegserklärung vorausliegenden Vorgänge von den
erhaltenen Quellen einzig Polybios in Frage kommt. Sowohl
Livius wie die späte Geschichtsschreibung eines Diodor, Appian,
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