Die Kriegsschuldfrage von 218 v. Chr. Geb.
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A. An die Spitze stelle ich den Ebrovertrag. Er hat im Laufe
der Jahrzehnte die verschiedenartigste Bewertung erfahren. Aber
im Grunde genommen lassen sich die Ansichten auf zwei1 Nenner
bringen: Egelhaaf und Mommsen. Nach ersterem hat Karthago
sich angesichts der kritischen Lage Roms durch das Abkommen
einen großen politischen Vorteil gesichert •— dies darf als die heute
herrschende Meinung bezeichnet werden2 -—. Mommsen dagegen
verficht die Ansicht, daß Rom den Hauptvorteil hatte, indem es
der Ausdehnung Karthagos in Nordspanien eine feste Grenze
setzte3. Wenn wir die erste These in ihrer neuesten Formulierung
hören, so „erkannte Rom durch die Verpflichtung südlich des
Ebro militärisch nicht einzugreifen, nicht nur ein karthagisches
Reich südlich des Ebro an, sondern gab eigentlich -—wenigstens
zunächst das verbündete Sagunt preis ; wurde dies von wem
immer angegriffen, so konnte Rom es nur unter Bruch des
Ebro Vertrages militärisch schützen4“. Der leitende Gesichts-
punkt dieser Auffassung ist, daß Rom am Vorabend des schweren
Waffenganges mit den Kelten das Bedürfnis hatte, sich gegen jede
etwa von Karthago kommende Gefahr zu sichern. Und wenn man
auch nicht gerade fürchtete, Hasdrubal werde mit den Kelten ge-
meinsame Sache machen, so war doch die Besorgnis groß, daß er
sich Spanien bis an die Pyrenäen untertan machen könnte. Um
dieser Gefahr zu entgehen, opferte man durch ein neues Abkom-
men mit Hasdrubal das eben gewonnene Sagunt. Danach ist der
Ebrovertrag ein Zeichen römischer Schwäche gewesen. Ich
bin der festen Überzeugung, daß diese Wertung dem tatsächlichen
Stand der Dinge nicht gerecht wird. Gewiß wird jeder zugeben,
daß der römische Senat dem Oberkommandierenden in Spanien
Zugeständnisse machte. Denn als Hasdrubal das Abkommen
schloß, hatte er den Ebro noch längst nicht erreicht; noch befanden
sich zahlreiche kriegerische und volkreiche Stämme südlich der
neuen Grenze in voller Unabhängigkeit. Man muß sich immer
gegenwärtig halten, daß Sagunt etwa 150 km vom Ebro entfernt
lag. Kein Zweifel, Rom ließ dem karthagischen Betätigungsdrang
1 Von der Meinung O. Gilberts, daß es sich bei dem Vertrag um ein
Kompromiß handele, darf man wohl heute absehen.
2 Ich hebe hervor: Hesselbarth 84, Ed. Meyer, Kl. Sehr. II, 396,
de Sanctis III 1, 412f., ders. Probl. di stör, antica 1932, 174, Groag 41,
Otto 503, Gelzer 159.
3 Mommsen RGI 566L, Ihne, Röm. Gesch. II 132.
4 Otto, a. O. Die Sperrung rührt von mir her.
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A. An die Spitze stelle ich den Ebrovertrag. Er hat im Laufe
der Jahrzehnte die verschiedenartigste Bewertung erfahren. Aber
im Grunde genommen lassen sich die Ansichten auf zwei1 Nenner
bringen: Egelhaaf und Mommsen. Nach ersterem hat Karthago
sich angesichts der kritischen Lage Roms durch das Abkommen
einen großen politischen Vorteil gesichert •— dies darf als die heute
herrschende Meinung bezeichnet werden2 -—. Mommsen dagegen
verficht die Ansicht, daß Rom den Hauptvorteil hatte, indem es
der Ausdehnung Karthagos in Nordspanien eine feste Grenze
setzte3. Wenn wir die erste These in ihrer neuesten Formulierung
hören, so „erkannte Rom durch die Verpflichtung südlich des
Ebro militärisch nicht einzugreifen, nicht nur ein karthagisches
Reich südlich des Ebro an, sondern gab eigentlich -—wenigstens
zunächst das verbündete Sagunt preis ; wurde dies von wem
immer angegriffen, so konnte Rom es nur unter Bruch des
Ebro Vertrages militärisch schützen4“. Der leitende Gesichts-
punkt dieser Auffassung ist, daß Rom am Vorabend des schweren
Waffenganges mit den Kelten das Bedürfnis hatte, sich gegen jede
etwa von Karthago kommende Gefahr zu sichern. Und wenn man
auch nicht gerade fürchtete, Hasdrubal werde mit den Kelten ge-
meinsame Sache machen, so war doch die Besorgnis groß, daß er
sich Spanien bis an die Pyrenäen untertan machen könnte. Um
dieser Gefahr zu entgehen, opferte man durch ein neues Abkom-
men mit Hasdrubal das eben gewonnene Sagunt. Danach ist der
Ebrovertrag ein Zeichen römischer Schwäche gewesen. Ich
bin der festen Überzeugung, daß diese Wertung dem tatsächlichen
Stand der Dinge nicht gerecht wird. Gewiß wird jeder zugeben,
daß der römische Senat dem Oberkommandierenden in Spanien
Zugeständnisse machte. Denn als Hasdrubal das Abkommen
schloß, hatte er den Ebro noch längst nicht erreicht; noch befanden
sich zahlreiche kriegerische und volkreiche Stämme südlich der
neuen Grenze in voller Unabhängigkeit. Man muß sich immer
gegenwärtig halten, daß Sagunt etwa 150 km vom Ebro entfernt
lag. Kein Zweifel, Rom ließ dem karthagischen Betätigungsdrang
1 Von der Meinung O. Gilberts, daß es sich bei dem Vertrag um ein
Kompromiß handele, darf man wohl heute absehen.
2 Ich hebe hervor: Hesselbarth 84, Ed. Meyer, Kl. Sehr. II, 396,
de Sanctis III 1, 412f., ders. Probl. di stör, antica 1932, 174, Groag 41,
Otto 503, Gelzer 159.
3 Mommsen RGI 566L, Ihne, Röm. Gesch. II 132.
4 Otto, a. O. Die Sperrung rührt von mir her.