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Walther Kolbe:
Von liier aus fällt helles Licht auf den römisch-karthagischen
Konflikt von 220 und 219. Wie Rom im Osten der Adria die grie-
chischen Küstenplätze ins Schlepptau genommen hatte, so war es
im Westen das Bündnis mit Massalia eingegangen. Unter dem
Einfluß dieses Staates hatte es kein Bedenken getragen, selbst
auf der iberischen Halbinsel eigene Interessen anzumelden, indem
es Sagunt in die Reihe seiner Bundesgenossen aufnahm. Gewiß
ist die Ibererstadt an sich unbedeutend gewesen1, und ebenso zu-
treffend ist es, daß sie damals noch außerhalb des Machtbereiches
der semitischen Kolonisatoren lag. Aber es ist darum nicht minder
wahr, daß mit dem römisch-saguntinischen Bündnis der Keim
zu einer Spannung mit Karthago gelegt war. Das Kolonialreich,
das die Barkiden als Ersatz für die verlorenen Inseln im Spanien
aufbauen wollten, konnte nicht vor den Toren der römischen
Bundesgenossin Halt machen. Auf der anderen Seite war nicht
zu erwarten, daß Rom bereit sein würde, Sagunt zu opfern. Das
war der große Triumph der Männer j die die Richtung der Aktivität
im Senat vertraten, daß es ihnen gelang, mit dem spanischen
Oberkommandierenden zu einem Abkommen zu gelangen. Da-
durch wurde nicht nur der Ebro zur Grenze der karthagischen Ein-
flußsphäre gemacht, sondern mittelbar Sagunts Stellung gesichert,
denn von nun an genoß es nach römischer Rechtsauffassung die
Vorteile eines römischen Bundesgenossen. Roms Politik zeigt in
den Jahrzehnten nach dem Lutatiusfrieden kein einheitliches Bild.
Anfangs herrscht noch die alte Vorsicht und Zurückhaltung, aber
im allmählichen Aufbau vollzieht sich Schritt für Schritt eine Um-
stellung. Es ist, als ob sich in der Gesamthaltung der Männer,
die sein Schicksal bestimmen, ein größerer Zug durchzusetzen
beginnt: sie nutzen die Gunst der Stunde im Sinne eines kräftigen
Machtstrebens aus, selbst auf die Gefahr hin die Forderung des
starren Rechts zu überhören. Und sie beginnen jenseits des Meeres
in Ost und West eigene Interessen zu erwerben. Wer sich dies
alles vor Augen hält, wird nicht leugnen wollen, daß ein unverkenn-
bar offensives Element in ihrer Balkan- wie in ihrer Spanien-
politik lebendig ist.
D. Das ist das Antlitz Roms. Wie aber sah es im Kartha-
gischen Reich aus ? Seit Polybios in Hamilkar den bösen
Geist Karthagos geschildert hat, wird uns immer wieder seine
und seiner Nachfolger Politik als rachsüchtig und angriffs-
1 de Sanctis III, 1, 420.
Walther Kolbe:
Von liier aus fällt helles Licht auf den römisch-karthagischen
Konflikt von 220 und 219. Wie Rom im Osten der Adria die grie-
chischen Küstenplätze ins Schlepptau genommen hatte, so war es
im Westen das Bündnis mit Massalia eingegangen. Unter dem
Einfluß dieses Staates hatte es kein Bedenken getragen, selbst
auf der iberischen Halbinsel eigene Interessen anzumelden, indem
es Sagunt in die Reihe seiner Bundesgenossen aufnahm. Gewiß
ist die Ibererstadt an sich unbedeutend gewesen1, und ebenso zu-
treffend ist es, daß sie damals noch außerhalb des Machtbereiches
der semitischen Kolonisatoren lag. Aber es ist darum nicht minder
wahr, daß mit dem römisch-saguntinischen Bündnis der Keim
zu einer Spannung mit Karthago gelegt war. Das Kolonialreich,
das die Barkiden als Ersatz für die verlorenen Inseln im Spanien
aufbauen wollten, konnte nicht vor den Toren der römischen
Bundesgenossin Halt machen. Auf der anderen Seite war nicht
zu erwarten, daß Rom bereit sein würde, Sagunt zu opfern. Das
war der große Triumph der Männer j die die Richtung der Aktivität
im Senat vertraten, daß es ihnen gelang, mit dem spanischen
Oberkommandierenden zu einem Abkommen zu gelangen. Da-
durch wurde nicht nur der Ebro zur Grenze der karthagischen Ein-
flußsphäre gemacht, sondern mittelbar Sagunts Stellung gesichert,
denn von nun an genoß es nach römischer Rechtsauffassung die
Vorteile eines römischen Bundesgenossen. Roms Politik zeigt in
den Jahrzehnten nach dem Lutatiusfrieden kein einheitliches Bild.
Anfangs herrscht noch die alte Vorsicht und Zurückhaltung, aber
im allmählichen Aufbau vollzieht sich Schritt für Schritt eine Um-
stellung. Es ist, als ob sich in der Gesamthaltung der Männer,
die sein Schicksal bestimmen, ein größerer Zug durchzusetzen
beginnt: sie nutzen die Gunst der Stunde im Sinne eines kräftigen
Machtstrebens aus, selbst auf die Gefahr hin die Forderung des
starren Rechts zu überhören. Und sie beginnen jenseits des Meeres
in Ost und West eigene Interessen zu erwerben. Wer sich dies
alles vor Augen hält, wird nicht leugnen wollen, daß ein unverkenn-
bar offensives Element in ihrer Balkan- wie in ihrer Spanien-
politik lebendig ist.
D. Das ist das Antlitz Roms. Wie aber sah es im Kartha-
gischen Reich aus ? Seit Polybios in Hamilkar den bösen
Geist Karthagos geschildert hat, wird uns immer wieder seine
und seiner Nachfolger Politik als rachsüchtig und angriffs-
1 de Sanctis III, 1, 420.