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Ernst Hoffmann:
der zugleich eine stufenförmige Höherentwicklung des Erkenntnis-
organs mit sich bringt; drittens die anthropologische Position,
die sich in der Gottverbundenheit des leibhaftigen Menschen aus-
spricht.
Daß Platonische Lehrstücke, in dieses monistische System
aufgenommen, eine grundsätzliche Verwandlung ihrer genuinen
Motive erleiden müssen, ist deutlich. Der stoische Kosmos in der
Vollendung seiner Totalität mag äußerlich an den Kosmos des
Timaios erinnern, an das Weltganze, das auch von Platon ein
‘sichtbarer Gott’ genannt wurde. Dabei aber darf nicht übersehen
werden, daß Platons Timaios auf eine Mythopoiie hinauswollte,
welche nicht das ‘absolute’ Sein wissenschaftlich erfassen, sondern
das Ganze des geschaffenen, ‘gewordenen’ Seins im Bilde deuten
wollte; eine Leistung, deren wissenschaftlicher Wahrheitswert für
Platon so weit hinter der Tmematik dialektischer Philosophie zu-
rückbleibt wie zeitliches Werden hinter überzeitlichem Sein, wäh-
rend für den Stoiker sein organisch-substantieller Weltbegriff
dogmatische Voraussetzung seines gesamten Philosophierens ist1.
Das stoische Prinzip, das Göttliche als Uranfängliches an den
Beginn des zeitlichen und geschichtlichen Werdens zu setzen, mag
an Platons Prähistorie im Kritias oder sogar flüchtig an die Ana-
mnesis erinnern; die Tatsache bleibt bestehen, daß es für diese
Art des Platonismus erst der Konversion des Platonischen Apriori
durch das Syndesmos-Motiv bedurft hatte, wobei der Ideenbereich
zu etwas umgedacht werden mußte, was einstmals als faktische
Geltung reiner Ideen auf Erden existent gewesen sein sollte, und wo-
bei zweitens aus dem Ideenwissen unplatonisch ein im Menschen
subjektiv werdender göttlicher Logos gemacht werden mußte.
Zweitens die Neupythagoreer: Die göttliche Einheit hat
sich in die Vielheit entfaltet2, wie die Eins in die Zahlenreihe.
Die Eins ist das in sich selber absolut Bestimmte; mit der Zwei
1 Im Sinne der berühmten Kosmodizee bei Plinius, Nat.-hist. II, 1 ff.
Vgl. dazu Wilh. Kroll, Die Kosmologie des Plinius (Abh. der Schles. Gesell-
schaft für vaterländ. Cultur, Geisteswiss. Reihe, 3. Heft, 1930).
2 Explicatio erscheint, wie auch Generatio, dem Worte nach in der
Philosophie erst spät als eindeutiger Terminus. Zugrunde liegt die alte Be-
deutung = evolvere, z. B. aciem. Dann die im Geiste noch unentwickelte Vor-
stellung zu klarem Bewußtsein entwickeln, Cic. De off. III, 19, 76. Schließlich
das Eine zum Ganzen der Vielheit auseinanderfalten, vgl. Boethius, Cons. IV,
S. 110 Z. 67 und 70 (Peiper).
Ernst Hoffmann:
der zugleich eine stufenförmige Höherentwicklung des Erkenntnis-
organs mit sich bringt; drittens die anthropologische Position,
die sich in der Gottverbundenheit des leibhaftigen Menschen aus-
spricht.
Daß Platonische Lehrstücke, in dieses monistische System
aufgenommen, eine grundsätzliche Verwandlung ihrer genuinen
Motive erleiden müssen, ist deutlich. Der stoische Kosmos in der
Vollendung seiner Totalität mag äußerlich an den Kosmos des
Timaios erinnern, an das Weltganze, das auch von Platon ein
‘sichtbarer Gott’ genannt wurde. Dabei aber darf nicht übersehen
werden, daß Platons Timaios auf eine Mythopoiie hinauswollte,
welche nicht das ‘absolute’ Sein wissenschaftlich erfassen, sondern
das Ganze des geschaffenen, ‘gewordenen’ Seins im Bilde deuten
wollte; eine Leistung, deren wissenschaftlicher Wahrheitswert für
Platon so weit hinter der Tmematik dialektischer Philosophie zu-
rückbleibt wie zeitliches Werden hinter überzeitlichem Sein, wäh-
rend für den Stoiker sein organisch-substantieller Weltbegriff
dogmatische Voraussetzung seines gesamten Philosophierens ist1.
Das stoische Prinzip, das Göttliche als Uranfängliches an den
Beginn des zeitlichen und geschichtlichen Werdens zu setzen, mag
an Platons Prähistorie im Kritias oder sogar flüchtig an die Ana-
mnesis erinnern; die Tatsache bleibt bestehen, daß es für diese
Art des Platonismus erst der Konversion des Platonischen Apriori
durch das Syndesmos-Motiv bedurft hatte, wobei der Ideenbereich
zu etwas umgedacht werden mußte, was einstmals als faktische
Geltung reiner Ideen auf Erden existent gewesen sein sollte, und wo-
bei zweitens aus dem Ideenwissen unplatonisch ein im Menschen
subjektiv werdender göttlicher Logos gemacht werden mußte.
Zweitens die Neupythagoreer: Die göttliche Einheit hat
sich in die Vielheit entfaltet2, wie die Eins in die Zahlenreihe.
Die Eins ist das in sich selber absolut Bestimmte; mit der Zwei
1 Im Sinne der berühmten Kosmodizee bei Plinius, Nat.-hist. II, 1 ff.
Vgl. dazu Wilh. Kroll, Die Kosmologie des Plinius (Abh. der Schles. Gesell-
schaft für vaterländ. Cultur, Geisteswiss. Reihe, 3. Heft, 1930).
2 Explicatio erscheint, wie auch Generatio, dem Worte nach in der
Philosophie erst spät als eindeutiger Terminus. Zugrunde liegt die alte Be-
deutung = evolvere, z. B. aciem. Dann die im Geiste noch unentwickelte Vor-
stellung zu klarem Bewußtsein entwickeln, Cic. De off. III, 19, 76. Schließlich
das Eine zum Ganzen der Vielheit auseinanderfalten, vgl. Boethius, Cons. IV,
S. 110 Z. 67 und 70 (Peiper).