Platonismus und Mystik im Altertum.
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Hierarchie, clie bis zum Kleinsten einem jeglichen den systemati-
schen Ort seines Daseins zuweist und somit die gegebene Stätte
bietet, von der aus die Hinwendung zum Einen aufgegeben ist.
In der Ausführung dieser Systematik befolgt Proklos durch-
gehend bestimmte Axiome, die sämtlich aus dem hellenistischen
Platonismus stammen: Jede Vielheit hat an ‘Einem’ teil; jede
Folge ist geringer als ihr ‘Grund’; jedes Sein erhält seinen Wert
vom ‘ersten Guten’. Im Ur-Einen, Ur-Guten, Ur-Sächlichen liegt
das Prinzip, von dem alles, was es gibt, in irgend einer Weise Derivat
sein muß. Auch das Ganze: denn das Ganze ist ‘Einigung’; auch
die Bewegung: denn Bewegung kommt nicht aus sich selber, son-
dern aus der Selbst-Reflexion des ‘Unbewegten’. — Außer den
Axiomen sind maßgebend die verschiedenen Schemata der Stu-
fungsreihen, die ebenfalls dem Inventar der Schultraditionen ent-
nommen sind: So die Viererreihe Göttlich, noetisch, psychisch,
körperlich; oder der Ternär Unsterblich, dämonisch, sterblich. —
Und außer den Axiomen und Schemata sind wiederum für die ganze
Systembildung verbindlich dialektische Dihäresen, die er dem
Platontexte unmittelbar verdankt: Einheit und Zweiheit; Grenze
und Grenzenlosigkeit; Selbigkeit und Andersheit. — Von den Di-
häresen aus werden Triaden entwickelt: Erstes, Zweites und Ge-
mischtes; Sein, Vernunft und Leben; Prinzip, Wesenheit und
Grund. Die Triaden schließlich setzen sich fortzeugend in weiteren
Gliederungen fort, die, wo sie hebdomadisch sind, in planetarischer
Ordnung gedacht werden. —- In letzter Hinsicht ist die ganze Syste-
matik des Proklos ev-Spekulation: Das Ur-Eine ist zwar absolut
supertranszendent und nicht logisch;, sondern nur analogisch be-
greifbar. Aber die Prävalenz des Einen kehrt methodisch immer
wieder, wo überhaupt es Primäres und Sekundäres gibt: Immer ist
das Sekundäre dm’ Primären (govrj), geht ‘aus’ ihm hervor (7ipoo8og)
und kehrt ‘in’ es zurück (sbu.oTpocpY]1)- In diesem triadischen Pro-
zesse liegt die metaphysische Kausalität (avamox; a’raov) des Ab-
soluten beschlossen. Kraft der umfassenden Funktion dieses All-
1 Das Wesen dieses triadischen Prozesses zeigt noch die Abstammung des
Neuplatonismus von der hellenistischen, panpsychistischen Denkart. Ist das
‘Ganze’ im Grunde eine geistig-seelische Substanz, so kann freilich ein Dreitakt
den Rhythmus dieses absoluten Lebens ausmachen. Aber mit der psychologi-
schen Voraussetzung würde auch Rhythmus und Trias fallen. Ähnlich steht es
um Hegels Trias: Thesis, Antithesis, Synthesis gilt nur für den Begreifenden,
nicht für den Begriff.
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Hierarchie, clie bis zum Kleinsten einem jeglichen den systemati-
schen Ort seines Daseins zuweist und somit die gegebene Stätte
bietet, von der aus die Hinwendung zum Einen aufgegeben ist.
In der Ausführung dieser Systematik befolgt Proklos durch-
gehend bestimmte Axiome, die sämtlich aus dem hellenistischen
Platonismus stammen: Jede Vielheit hat an ‘Einem’ teil; jede
Folge ist geringer als ihr ‘Grund’; jedes Sein erhält seinen Wert
vom ‘ersten Guten’. Im Ur-Einen, Ur-Guten, Ur-Sächlichen liegt
das Prinzip, von dem alles, was es gibt, in irgend einer Weise Derivat
sein muß. Auch das Ganze: denn das Ganze ist ‘Einigung’; auch
die Bewegung: denn Bewegung kommt nicht aus sich selber, son-
dern aus der Selbst-Reflexion des ‘Unbewegten’. — Außer den
Axiomen sind maßgebend die verschiedenen Schemata der Stu-
fungsreihen, die ebenfalls dem Inventar der Schultraditionen ent-
nommen sind: So die Viererreihe Göttlich, noetisch, psychisch,
körperlich; oder der Ternär Unsterblich, dämonisch, sterblich. —
Und außer den Axiomen und Schemata sind wiederum für die ganze
Systembildung verbindlich dialektische Dihäresen, die er dem
Platontexte unmittelbar verdankt: Einheit und Zweiheit; Grenze
und Grenzenlosigkeit; Selbigkeit und Andersheit. — Von den Di-
häresen aus werden Triaden entwickelt: Erstes, Zweites und Ge-
mischtes; Sein, Vernunft und Leben; Prinzip, Wesenheit und
Grund. Die Triaden schließlich setzen sich fortzeugend in weiteren
Gliederungen fort, die, wo sie hebdomadisch sind, in planetarischer
Ordnung gedacht werden. —- In letzter Hinsicht ist die ganze Syste-
matik des Proklos ev-Spekulation: Das Ur-Eine ist zwar absolut
supertranszendent und nicht logisch;, sondern nur analogisch be-
greifbar. Aber die Prävalenz des Einen kehrt methodisch immer
wieder, wo überhaupt es Primäres und Sekundäres gibt: Immer ist
das Sekundäre dm’ Primären (govrj), geht ‘aus’ ihm hervor (7ipoo8og)
und kehrt ‘in’ es zurück (sbu.oTpocpY]1)- In diesem triadischen Pro-
zesse liegt die metaphysische Kausalität (avamox; a’raov) des Ab-
soluten beschlossen. Kraft der umfassenden Funktion dieses All-
1 Das Wesen dieses triadischen Prozesses zeigt noch die Abstammung des
Neuplatonismus von der hellenistischen, panpsychistischen Denkart. Ist das
‘Ganze’ im Grunde eine geistig-seelische Substanz, so kann freilich ein Dreitakt
den Rhythmus dieses absoluten Lebens ausmachen. Aber mit der psychologi-
schen Voraussetzung würde auch Rhythmus und Trias fallen. Ähnlich steht es
um Hegels Trias: Thesis, Antithesis, Synthesis gilt nur für den Begreifenden,
nicht für den Begriff.