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Arnold von Salis:
nen tektonischen Gliedes getreten. Auf dem Pariser Spiegel er-
scheint es gleich in zwei Exemplaren. Aber in allen Fällen halten
wir es, nach dem was uns die obige Übersicht gelehrt, und im Ge-
gensatz zu bisherigen Deutungen, die in dem Sockel einen Votiv-
träger erblicken möchten, für eine Zutat dekorativer Art.
Was uns verbietet, diese naheliegende und wohl natürlichste
Erklärung auch auf die Vase aus Knossos anzuwenden, ist die stark
betonte Verschiedenheit der beiden „Basen“, nach Größe, Form
und Konstruktion. Verglichen mit der strengen Symmetrie, die
das beinahe heraldische Aussehen jener Spiegelzeichnung bedingt,
wirkt dieser Kontrast hier umso auffälliger; merkwürdig, daß noch
niemand daran Anstoß nahm. Die Frau steht auf einem einfachen
Würfelsockel, der so knapp bemessen ist, daß die Standfläche ge-
rade für die Füße ausreicht; und die kreuzweise Schraffierung soll
doch wohl eine feste Wand bedeuten. Das Postament des Mannes
dagegen ist von etwas geringerer Höhe, aber von ganz anderer seit-
licher Ausdehnung, und mit seiner gitterartigen Gliederung durch
vertikale Streifen sicher kein geschlossener Körper, sondern ein
durchbrochenes Gestell, zur dauernden Unterlage für eine schwere
Last jedenfalls kaum geeignet. Der erstere Gegenstand ließe sich
zur Not als Statuenbasis verstehen, der andere nimmermehr;
wenigstens aus dem Bereich der griechischen Kunst wüßten wir
kein Beispiel einer solchen Aufstellungsart anzuführen.
Dieser seltsame Unterschied der Form, der angesichts der
sonst so sorgfältig abgewogenen Besponsion der Bildhälften, der
starken Stilisierung des Ganzen, und nicht zuletzt des starr geo-
metrischen Bahmenmusters doppelt ins Gewicht fällt, schließt aber
auch jeden Gedanken an Gleichheit der Bedeutung in anderer Hin-
sicht aus; ja für rein ornamentale Stützen wäre eine Diskrepanz
wie diese erst recht unerhört. Wohl kennt die kretische Kunst seit
alters den senkrecht gestreiften Sockel, aber nur als Fußleiste für
das ganze Bild; er zieht sich dann in voller Länge hin, nicht bloß
streckenweise, und wechselt nicht mit andersartigen Motiven1. Und
1 Besonders wichtig, weil vollständig erhalten, sind die Bilder minoischer
Goldringe oder Gemmen wie Evans, Palace of Minos I 160 Abb. 115; II 2, 842
Abb. 557 (besser Nilsson, Min-Mycen. Religion Tat. 1, 3); III 511 Abb. 360.
Vorangegangen ist natürlich die Malerei (s. Evans III 513f.), und im großen
Fries mit der Frauenprozession (Rodenwaldt, Tiryns II Taf. 8 S. 71 Abb. 27,
28. Bossert, Altkreta 159 Abb. 212) haben wir eine schöne Probe eines solchen
gemalten Sockels noch vor Augen. Hier ist scharf zu scheiden zwischen der
mit ihrer naturalistischen Holzmaserung deutlich als Bretterboden charakte-
Arnold von Salis:
nen tektonischen Gliedes getreten. Auf dem Pariser Spiegel er-
scheint es gleich in zwei Exemplaren. Aber in allen Fällen halten
wir es, nach dem was uns die obige Übersicht gelehrt, und im Ge-
gensatz zu bisherigen Deutungen, die in dem Sockel einen Votiv-
träger erblicken möchten, für eine Zutat dekorativer Art.
Was uns verbietet, diese naheliegende und wohl natürlichste
Erklärung auch auf die Vase aus Knossos anzuwenden, ist die stark
betonte Verschiedenheit der beiden „Basen“, nach Größe, Form
und Konstruktion. Verglichen mit der strengen Symmetrie, die
das beinahe heraldische Aussehen jener Spiegelzeichnung bedingt,
wirkt dieser Kontrast hier umso auffälliger; merkwürdig, daß noch
niemand daran Anstoß nahm. Die Frau steht auf einem einfachen
Würfelsockel, der so knapp bemessen ist, daß die Standfläche ge-
rade für die Füße ausreicht; und die kreuzweise Schraffierung soll
doch wohl eine feste Wand bedeuten. Das Postament des Mannes
dagegen ist von etwas geringerer Höhe, aber von ganz anderer seit-
licher Ausdehnung, und mit seiner gitterartigen Gliederung durch
vertikale Streifen sicher kein geschlossener Körper, sondern ein
durchbrochenes Gestell, zur dauernden Unterlage für eine schwere
Last jedenfalls kaum geeignet. Der erstere Gegenstand ließe sich
zur Not als Statuenbasis verstehen, der andere nimmermehr;
wenigstens aus dem Bereich der griechischen Kunst wüßten wir
kein Beispiel einer solchen Aufstellungsart anzuführen.
Dieser seltsame Unterschied der Form, der angesichts der
sonst so sorgfältig abgewogenen Besponsion der Bildhälften, der
starken Stilisierung des Ganzen, und nicht zuletzt des starr geo-
metrischen Bahmenmusters doppelt ins Gewicht fällt, schließt aber
auch jeden Gedanken an Gleichheit der Bedeutung in anderer Hin-
sicht aus; ja für rein ornamentale Stützen wäre eine Diskrepanz
wie diese erst recht unerhört. Wohl kennt die kretische Kunst seit
alters den senkrecht gestreiften Sockel, aber nur als Fußleiste für
das ganze Bild; er zieht sich dann in voller Länge hin, nicht bloß
streckenweise, und wechselt nicht mit andersartigen Motiven1. Und
1 Besonders wichtig, weil vollständig erhalten, sind die Bilder minoischer
Goldringe oder Gemmen wie Evans, Palace of Minos I 160 Abb. 115; II 2, 842
Abb. 557 (besser Nilsson, Min-Mycen. Religion Tat. 1, 3); III 511 Abb. 360.
Vorangegangen ist natürlich die Malerei (s. Evans III 513f.), und im großen
Fries mit der Frauenprozession (Rodenwaldt, Tiryns II Taf. 8 S. 71 Abb. 27,
28. Bossert, Altkreta 159 Abb. 212) haben wir eine schöne Probe eines solchen
gemalten Sockels noch vor Augen. Hier ist scharf zu scheiden zwischen der
mit ihrer naturalistischen Holzmaserung deutlich als Bretterboden charakte-