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Salis, Arnold [Editor]; Salis, Arnold [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1935/36, 4. Abhandlung): Neue Darstellungen griechischer Sagen, 1: Kreta — Heidelberg, 1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.41987#0038
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38

Arnold von Salis:

scher Gebräuche oder religiöser Vorstellungen wird man die Er-
klärung für die höchst sonderbare Szene suchen müssen. Wenn es
nicht der Tribut für Minotauros ist, was ihren Inhalt ausmacht,
so doch ein Geschehen analoger Art1.
Daß in der Sage von Theseus und Ariadne altes minoisches Gut
weiterlebt, sollte heute, besonders nach den letzten grundlegenden
Untersuchungen von Nilsson2, füglich nicht mehr in Zweifel ge-
zogen werden. Wohl ist es wahr, die frühesten Darstellungen dieses
Mythus in der griechischen Kunst enthalten nichts, was mit Be-
stimmtheit auf kretischen Ursprung zurückgeführt werden müßte.
Die Abfahrtsszene auf dem Krater aus Theben (oben S. 29) reiht
sich den typischen Schiffsbildern geometrischen Stils ein3, der
Halsfries der Hydria aus Analatos, der immerhin mit einiger Wahr-
scheinlichkeit als „Tanz der von Theseus befreiten attischen Mäd-
chen und Jünglinge“ gedeutet werden darf, den ebenso typischen
Reigentänzen derselben Stilstufe4. Wir kennen den Vorgang nun
schon von so manchen ähnlichen Versuchen her: auf den festen
Stamm einer formelhaft gebundenen bildlichen Tradition, deren
Schema sich für verschiedenartigsten Inhalt eignen mochte, wird
ein mythisches Reis gepfropft; aus der zunächst allgemein gehalte-
nen Fassung entwickelt sich die individuell bedingte Szene, die Er-
zählung eines Sonderfalls. Die der archaischen Kunst von Hause
aus eigentümliche Neigung zu streng ornamentaler Gliederung, das
Bestreben, alles sich im Gleichschritt bewegen zu lassen, bestimmt
auch Bau und Haltung ihrer figürlichen Bilder. Und bestimmt
damit ihre Stoffwahl. Denn im Vordergrund stehen hier durchaus
Themata, denen der Rhythmus gleichsam in den Knochen steckt:
wo die Anordnung der Figuren hintereinander schon durch die Situ-

1 Erst in der archaischen Kunst Kretas erfährt das alte Bildschema eine
Umdeutung in dem oben bezweifelten Sinn. Ein Terrakottarelief aus Praisos,
AJA. 5, 1901, 390 Taf. 12 Nr. 4 zeigt einen Krieger mit Helm, Schild und
Lanze, der ein gefangenes Mädchen hinter sich herschleppt, nicht an einer
Fessel freilich, sondern am Handgelenk.
2 Nilsson, The Mycenaean Origin of Greek Religion (1932) 170ff., 175;
vgl. schon Griech. Feste (1906) 369, 382ff. u. The Minoan-Mycen. Religion and
its survival in Greek Religion (1927) 451 ff.
3 Trotz der von den Dipylonvasen abweichenden Gestalt des Fahrzeugs,
was Köster, Seewesen 94 aus der böotischen Herkunft des Gefäßes erklären
möchte.
4 Jdl. 2, 1887 Taf. 3, 4; Pfuhl, Abb. 79; L. Curtius, Antike Kunst II
73 Abb. 68 u. 68A. Zur Deutung Kunze, Kret. Bronzereliefs 214.
 
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