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Arnold von Salis:
bracht wird, dagegen nur recht mangelhaft, so gewiß der Odyssee-
text zugrunde liegt. Die Sage vom Urteil des Paris endlich ist von
der griechischen Kunst überaus häufig behandelt worden, und zwar
in klassischer Zeit und später meistens so, daß dem Richter die drei
Rivalinnen nebeneinander präsentiert werden, stehend oder sitzend
im Rildfeld verteilt, und sein Blick sie prüfend zu vergleichen ver-
mag. Die archaische Kunst hat keine Möglichkeit, eine solche
,,Schau“ überzeugend zur Darstellung zu bringen; sie gibt immer
nur die Vorbereitung zum Schönheitswettkampf, den Aufmarsch
dazu, den Zug zum Parisurteil, mit Hermes als Anführer. Die
Reihe wird bisweilen sogar noch verlängert durch weitere Gestalten.
Hier hat das alte Schema recht eigentlich zur Erfindung einer
Sagenversion, buchstäblich eines „Sagenzugs“ geführt1. Und nichts
könnte einem verbieten, den Tanz des von Theseus befreiten Jung-
volkes, wie wir ihn auf attischen Vasen oder auf korinthischen
Goldblechen2 abgebildet finden, aus ähnlichen Tendenzen formaler
Natur, das heißt aus dem Motivschatz des geometrischen Stils ab-
leiten zu wollen.
Allein während diese ältesten griechischen Sageniilustrationen
wohl durchweg in der geschilderten Weise, also durch Belebung und
Individualisierung eines von der vorausgegangenen festländisch
griechischen Kunst geprägten Schemas entstanden sein könnten,
ist das Bild der Vase aus Ivnossos unseres Erachtens ganz anders
zu beurteilen. Denn hier glauben wir ein wirkliches Nachleben vor-
griechischer, minoischer Elemente, und zwar nicht bloß formal-
stilistischer Züge, sondern auch kultureller Besonderheiten, ja viel-
leicht sogar gewisser religiöser Begriffe und Vorstellungen zu ver-
1 Protokorinth. Kanne Chigi AD. II Taf. 45; L. Curtius, Antike Kunst
II 86 Abb. 91B; jonis.-etrusk. Amphora München, Sieveking-Hackl
Nr. 837 Abb. 99; FR. 21; Buschor Abb. 83; Pfuhl, Abb. 156; Chalkid.
Vasen Rumpf, Taf. 115, 134. Weitere Beispiele s. Roscher III 1607ff.
Das Hineinwachsen der mythologischen Szene in einen bereits fertigen
Rahmen verdiente einmal in größerem Zusammenhang behandelt zu werden.
Die Untersuchung von Zschietzsciimann, Jdl. 46, 1931, 45ff. konnte diese
Fragen naturgemäß nur streifen; viele wichtige Fingerzeige, durch das ganze
Buch verstreut, in Roberts Archäol. Hermeneutik. Siehe auch den Aufsatz
„Kentauren'1 von Buschor, AJA. 38 1934, 128 ff,
2 Oben S. 32 Anm. 2. Beziehungen zu kretischer Kunst entschieden
in Abrede gestellt von Schweitzer, DLZ. 1931, 70. Auf stoffliche u. stilistische
Verwandtschaft mit Kreta hatte als erster Furtwängler, AZ. 42, 1884, 107
u. 110 (Kl. Sehr. I 463 u. 465) hingewiesen. Hier ist das letzte Wort gewiß
noch nicht gesprochen.
Arnold von Salis:
bracht wird, dagegen nur recht mangelhaft, so gewiß der Odyssee-
text zugrunde liegt. Die Sage vom Urteil des Paris endlich ist von
der griechischen Kunst überaus häufig behandelt worden, und zwar
in klassischer Zeit und später meistens so, daß dem Richter die drei
Rivalinnen nebeneinander präsentiert werden, stehend oder sitzend
im Rildfeld verteilt, und sein Blick sie prüfend zu vergleichen ver-
mag. Die archaische Kunst hat keine Möglichkeit, eine solche
,,Schau“ überzeugend zur Darstellung zu bringen; sie gibt immer
nur die Vorbereitung zum Schönheitswettkampf, den Aufmarsch
dazu, den Zug zum Parisurteil, mit Hermes als Anführer. Die
Reihe wird bisweilen sogar noch verlängert durch weitere Gestalten.
Hier hat das alte Schema recht eigentlich zur Erfindung einer
Sagenversion, buchstäblich eines „Sagenzugs“ geführt1. Und nichts
könnte einem verbieten, den Tanz des von Theseus befreiten Jung-
volkes, wie wir ihn auf attischen Vasen oder auf korinthischen
Goldblechen2 abgebildet finden, aus ähnlichen Tendenzen formaler
Natur, das heißt aus dem Motivschatz des geometrischen Stils ab-
leiten zu wollen.
Allein während diese ältesten griechischen Sageniilustrationen
wohl durchweg in der geschilderten Weise, also durch Belebung und
Individualisierung eines von der vorausgegangenen festländisch
griechischen Kunst geprägten Schemas entstanden sein könnten,
ist das Bild der Vase aus Ivnossos unseres Erachtens ganz anders
zu beurteilen. Denn hier glauben wir ein wirkliches Nachleben vor-
griechischer, minoischer Elemente, und zwar nicht bloß formal-
stilistischer Züge, sondern auch kultureller Besonderheiten, ja viel-
leicht sogar gewisser religiöser Begriffe und Vorstellungen zu ver-
1 Protokorinth. Kanne Chigi AD. II Taf. 45; L. Curtius, Antike Kunst
II 86 Abb. 91B; jonis.-etrusk. Amphora München, Sieveking-Hackl
Nr. 837 Abb. 99; FR. 21; Buschor Abb. 83; Pfuhl, Abb. 156; Chalkid.
Vasen Rumpf, Taf. 115, 134. Weitere Beispiele s. Roscher III 1607ff.
Das Hineinwachsen der mythologischen Szene in einen bereits fertigen
Rahmen verdiente einmal in größerem Zusammenhang behandelt zu werden.
Die Untersuchung von Zschietzsciimann, Jdl. 46, 1931, 45ff. konnte diese
Fragen naturgemäß nur streifen; viele wichtige Fingerzeige, durch das ganze
Buch verstreut, in Roberts Archäol. Hermeneutik. Siehe auch den Aufsatz
„Kentauren'1 von Buschor, AJA. 38 1934, 128 ff,
2 Oben S. 32 Anm. 2. Beziehungen zu kretischer Kunst entschieden
in Abrede gestellt von Schweitzer, DLZ. 1931, 70. Auf stoffliche u. stilistische
Verwandtschaft mit Kreta hatte als erster Furtwängler, AZ. 42, 1884, 107
u. 110 (Kl. Sehr. I 463 u. 465) hingewiesen. Hier ist das letzte Wort gewiß
noch nicht gesprochen.