12
Arnold von Salis:
gefiedertes Gegenstück auf der anderen Seite der Athena freilich hat
sich als Sitz den Altar gewählt. Und nicht eine Eule ist es, sondern
die Krähe, die angeblich vor jener der heilige Vogel der Göttin war1.
Dagegen kommt nun die Eule auf der Ranke schon auf einer
Situla des sogenannten Dafne-Typus vor2. Die eine Seite der Vase
zeigt eine schreitende Frau mit Blume in der Hand, die andere
einen Baum oder Strauch in ornamentaler Stilisierung, auf dessen
volutenartig eingerollten Zweigen zwei Raubvögel sitzen. Nach der
Zeichnung des Gefieders wird man sie für Eulen zu halten haben,
trotz der Profilstellung des Kopfes, die allerdings ungewöhnlich
ist3. Zu der Figur der Vorderseite steht dieses streng heraldisch
komponierte Bild gewiß nicht in inhaltlicher Beziehung; an Athenas
Attribut wäre bei einer ostgriechischen Darstellung des 7. oder
frühen 6. Jahrhunderts auch nicht zu denken. In Attika aber ist die
Eule, mindestens seit den Tagen Solons, die ständige Begleiterin
der Athena4, und selbst im Kampfe verläßt sie ihre Herrin nicht.
Stets ist sie in deren unmittelbarer Nähe anzutreffen, bald auf dem
Rand ihres Schildes hockend, bald neben ihr am Boden oder auf
einem Fels, einem Pfeiler, einer Säule. Und häufig genug eben im
Gezweig eines Baumes. So auf einer Anzahl von weißgrundigen
schwarzfigurigen Lekythen, wo neben der stehenden oder sitzenden
Göttin ein Palmettenbaum, um den von Jacobsthal geprägten
Ausdruck anzuwenden, den heiligen Vogel trägt. Man wird in der
Tat nicht bezweifeln dürfen, ,,daß hier die allgemeine Darstellungs-
form eines Baums zur Bezeichnung einer ganz bestimmten Art, der
Olive, gesetzt ist. Hier dient also der Palmettenbaum wie eine
„Hieroglyphe“ zur Bezeichnung des Konkreten5.“
1 Die Schriftquellen bei C. Smith, JHS. a. 0.204; Wellmann, RE. VI
1608.
2 Grabfund aus Jalysos. Clara Rhodos III 192 Abb. 186—189; CVA.
Italia 423 (Rodi 1 II D m Taf. 1) 4, 5. Zur Datierung Pfuhl, MuZ. I 28 u. 150.
3 Die Eule ist der einzige AMgel, den die antike Kunst, so wie wir es auf
unserer Stele sehen, mit dem Kopf in Vorderansicht darzustellen pflegt. Aus-
nahmen von dieser Regel sind in der Tat höchst selten: aus jüngerer Zeit z. B.
zwei einander gegenüberstehende Eulen auf einer attischen rf. Kanne in Er-
langen AA. 1904, 61 Abb. 2, oder der Uhu Imhoof-Blumer, Tiere u. Pflanzen-
bilder auf Münzen u. Gemmen Taf. 20, 63; O. Keller, Antike Tierwelt II 38
Taf. 1, 10.
4 Über Ursprung und Bedeutung des Attributs Wellmann, RE. VI
1069; E. Maass, Jdl. 22, 1907, 143ff.; Pottier, BCH. 32, 1908, 529ff.; Nils-
son, Min.-Myc. Religion 423ff.
5 Jacobsthal, Ornamente griecb. Vasen 90; Aufzählung der Beispiele 85
Anm. 125.
Arnold von Salis:
gefiedertes Gegenstück auf der anderen Seite der Athena freilich hat
sich als Sitz den Altar gewählt. Und nicht eine Eule ist es, sondern
die Krähe, die angeblich vor jener der heilige Vogel der Göttin war1.
Dagegen kommt nun die Eule auf der Ranke schon auf einer
Situla des sogenannten Dafne-Typus vor2. Die eine Seite der Vase
zeigt eine schreitende Frau mit Blume in der Hand, die andere
einen Baum oder Strauch in ornamentaler Stilisierung, auf dessen
volutenartig eingerollten Zweigen zwei Raubvögel sitzen. Nach der
Zeichnung des Gefieders wird man sie für Eulen zu halten haben,
trotz der Profilstellung des Kopfes, die allerdings ungewöhnlich
ist3. Zu der Figur der Vorderseite steht dieses streng heraldisch
komponierte Bild gewiß nicht in inhaltlicher Beziehung; an Athenas
Attribut wäre bei einer ostgriechischen Darstellung des 7. oder
frühen 6. Jahrhunderts auch nicht zu denken. In Attika aber ist die
Eule, mindestens seit den Tagen Solons, die ständige Begleiterin
der Athena4, und selbst im Kampfe verläßt sie ihre Herrin nicht.
Stets ist sie in deren unmittelbarer Nähe anzutreffen, bald auf dem
Rand ihres Schildes hockend, bald neben ihr am Boden oder auf
einem Fels, einem Pfeiler, einer Säule. Und häufig genug eben im
Gezweig eines Baumes. So auf einer Anzahl von weißgrundigen
schwarzfigurigen Lekythen, wo neben der stehenden oder sitzenden
Göttin ein Palmettenbaum, um den von Jacobsthal geprägten
Ausdruck anzuwenden, den heiligen Vogel trägt. Man wird in der
Tat nicht bezweifeln dürfen, ,,daß hier die allgemeine Darstellungs-
form eines Baums zur Bezeichnung einer ganz bestimmten Art, der
Olive, gesetzt ist. Hier dient also der Palmettenbaum wie eine
„Hieroglyphe“ zur Bezeichnung des Konkreten5.“
1 Die Schriftquellen bei C. Smith, JHS. a. 0.204; Wellmann, RE. VI
1608.
2 Grabfund aus Jalysos. Clara Rhodos III 192 Abb. 186—189; CVA.
Italia 423 (Rodi 1 II D m Taf. 1) 4, 5. Zur Datierung Pfuhl, MuZ. I 28 u. 150.
3 Die Eule ist der einzige AMgel, den die antike Kunst, so wie wir es auf
unserer Stele sehen, mit dem Kopf in Vorderansicht darzustellen pflegt. Aus-
nahmen von dieser Regel sind in der Tat höchst selten: aus jüngerer Zeit z. B.
zwei einander gegenüberstehende Eulen auf einer attischen rf. Kanne in Er-
langen AA. 1904, 61 Abb. 2, oder der Uhu Imhoof-Blumer, Tiere u. Pflanzen-
bilder auf Münzen u. Gemmen Taf. 20, 63; O. Keller, Antike Tierwelt II 38
Taf. 1, 10.
4 Über Ursprung und Bedeutung des Attributs Wellmann, RE. VI
1069; E. Maass, Jdl. 22, 1907, 143ff.; Pottier, BCH. 32, 1908, 529ff.; Nils-
son, Min.-Myc. Religion 423ff.
5 Jacobsthal, Ornamente griecb. Vasen 90; Aufzählung der Beispiele 85
Anm. 125.