Neue Darstellungen griechischer Sagen: II. Picenum.
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Ernst gilt, zum ständigen Repertoire schon des geometrischen
Dipylonstils, und diese stoffliche Verwandtschaft mit der attischen
Vasenmalerei war es auch, die überhaupt zum erstenmal das Augen-
merk der klassischen Archäologie auf das picenische Denkmal
lenkte* 1. Wer aber würde sich beim Anblick des letzteren nicht an
den Aristonothos-Krater2 mit seinem auffallend ähnlichen See-
gefecht erinnert fühlen ? Dort entspricht dies Bild demjenigen der
Kyklopenblendung auf der anderen Seite, und nichts verbietet uns,
auch die Kampfszene als eine Angelegenheit des „Mythus“ zu be-
trachten: in jenem bedingten Sinne natürlich, den R. Hampe in
seinen trefflichen Ausführungen über die Anfänge der Mythendar-
stellung für diese Frühstufe der Entwicklung gelten lassen will.
Denn es ist wirklich so, daß eigentliche Genreszenen, wie sie die
archaische Kunst ja dann so gerne anbringt, hier noch völlig fehlen.
„Selbst dort, wo nur ein Mann ein Pferd führt, einen Wagen lenkt,
sind diese Bilder so der Wirklichkeit entrückt, daß man sie nicht
alltäglich nennen kann . . . Ferner sind die Schiffsgefechte und die
Zweikämpfe, auch wo sie keinen bestimmten mythologischen Inhalt
haben, mehr dem mythologischen als dem alltäglichen Bereich zu-
zurechnen. Die genauen Grenzen zwischen Sage und Geschichte,
vergangenem und gegenwärtigem Geschehen waren in dieser Zeit
noch gar nicht scharf gezogen. Es ist eigentlich unrichtig, diese
Unterscheidungen überhaupt hier anzuwenden3.“
Auf der Novilara-Stele halten die beiden Schiffsbilder, der
Segler oben, und im unteren Streifen der Kampf, als die zwei we-
sentlichsten Bestandteile der Dekoration einander das Gleichge-
wicht; die Frage erscheint berechtigt, ob ihnen wirklich nur der
Charakter einer Genredarstellung oder der Schilderung eines Zeit-
geschehens zuzusprechen sei. Man mag sie zu den „halbmythologi-
schen Themen“ zählen, um die Terminologie von Hampe anzuwen-
den; auch jene Szene der Fano-Stele Tafel 1, wo ein Kämpfer vorn
wie ein Historienbild vermutete, als rituelles Kampf spiel auffaßt. Zur Frage
der „Schiffskämpfe“ speziell S. 2 u. 84ff. Abb. 47a; in allen Fällen Festbräuche
symbolischen Charakters (Kampf der Jahreszeiten), anrdog den andernorts ja
vielfach bezeugten religiösen Aufzügen und Schauspielen. Über eine andere
Erklärung des Waffenschwingens im Boot, doch gleichfalls rituell, s. Salis,
Theseus u. Ariadne 39 zu Abb. 36—38.
1 G. Hirschfeld, Ann Inst. 1872, 168. Zu den Seeschlachten der Di-
pylonvasen Köster a. O. 84ff. Tafelbild 21—30.
2 Pfuhl, MuZ. Abb. 64, 65 I. S. 109ff.; Köster Tafelb. 35.
3 Hampe, Frühe griech. Sagenbilder 39f.
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Ernst gilt, zum ständigen Repertoire schon des geometrischen
Dipylonstils, und diese stoffliche Verwandtschaft mit der attischen
Vasenmalerei war es auch, die überhaupt zum erstenmal das Augen-
merk der klassischen Archäologie auf das picenische Denkmal
lenkte* 1. Wer aber würde sich beim Anblick des letzteren nicht an
den Aristonothos-Krater2 mit seinem auffallend ähnlichen See-
gefecht erinnert fühlen ? Dort entspricht dies Bild demjenigen der
Kyklopenblendung auf der anderen Seite, und nichts verbietet uns,
auch die Kampfszene als eine Angelegenheit des „Mythus“ zu be-
trachten: in jenem bedingten Sinne natürlich, den R. Hampe in
seinen trefflichen Ausführungen über die Anfänge der Mythendar-
stellung für diese Frühstufe der Entwicklung gelten lassen will.
Denn es ist wirklich so, daß eigentliche Genreszenen, wie sie die
archaische Kunst ja dann so gerne anbringt, hier noch völlig fehlen.
„Selbst dort, wo nur ein Mann ein Pferd führt, einen Wagen lenkt,
sind diese Bilder so der Wirklichkeit entrückt, daß man sie nicht
alltäglich nennen kann . . . Ferner sind die Schiffsgefechte und die
Zweikämpfe, auch wo sie keinen bestimmten mythologischen Inhalt
haben, mehr dem mythologischen als dem alltäglichen Bereich zu-
zurechnen. Die genauen Grenzen zwischen Sage und Geschichte,
vergangenem und gegenwärtigem Geschehen waren in dieser Zeit
noch gar nicht scharf gezogen. Es ist eigentlich unrichtig, diese
Unterscheidungen überhaupt hier anzuwenden3.“
Auf der Novilara-Stele halten die beiden Schiffsbilder, der
Segler oben, und im unteren Streifen der Kampf, als die zwei we-
sentlichsten Bestandteile der Dekoration einander das Gleichge-
wicht; die Frage erscheint berechtigt, ob ihnen wirklich nur der
Charakter einer Genredarstellung oder der Schilderung eines Zeit-
geschehens zuzusprechen sei. Man mag sie zu den „halbmythologi-
schen Themen“ zählen, um die Terminologie von Hampe anzuwen-
den; auch jene Szene der Fano-Stele Tafel 1, wo ein Kämpfer vorn
wie ein Historienbild vermutete, als rituelles Kampf spiel auffaßt. Zur Frage
der „Schiffskämpfe“ speziell S. 2 u. 84ff. Abb. 47a; in allen Fällen Festbräuche
symbolischen Charakters (Kampf der Jahreszeiten), anrdog den andernorts ja
vielfach bezeugten religiösen Aufzügen und Schauspielen. Über eine andere
Erklärung des Waffenschwingens im Boot, doch gleichfalls rituell, s. Salis,
Theseus u. Ariadne 39 zu Abb. 36—38.
1 G. Hirschfeld, Ann Inst. 1872, 168. Zu den Seeschlachten der Di-
pylonvasen Köster a. O. 84ff. Tafelbild 21—30.
2 Pfuhl, MuZ. Abb. 64, 65 I. S. 109ff.; Köster Tafelb. 35.
3 Hampe, Frühe griech. Sagenbilder 39f.