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Salis, Arnold [Editor]; Salis, Arnold [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1936/37, 1. Abhandlung): Neue Darstellungen griechischer Sagen, 2: Picenum — Heidelberg, 1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.41988#0079
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Neue Darstellungen griechischer Sagen: II, Picenum.

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Allein der Charakter der Zeichnung erlaubt immerhin gewisse
Grenzen zu ziehen. Eine Gruppe wie diejenige der Schlächterszene
auf der Stele Abb. 2 wäre in der vorklassischen Periode der antiken
Kunst undenkbar. Man rede hier nicht von Narrenfreiheit eines
noch ungebundenen bildnerischen Schaffens, dem alles erlaubt und
möglich wäre, und das sich an keine Gesetze der Gestaltung zu
kehren brauche. Die überlegte Anordnung der Figuren im Raum
sowohl, die mit einer beträchtlichen Tiefenwirkung rechnet, als
auch die einzelnen Stellungs- und Bewegungsmotive haben die Stil-
stufe der ausgereiften rotfigurigen Malerei zur Voraussetzung.
Erst da gibt es diesen betonten Wechsel von Stand- und Spielbein,
das Seitwärtsbiegen, Heben und Senken des Rumpfes — in dieser
Hinsicht stellt auch die Figur des Mannes neben dem Mast auf
Tafel 2 eine sehr beachtenswerte Lösung dar! —, diese Schrägan-
sichten, wobei die Arme den Körper überqueren, und vollends das
Schreiten direkt auf den Beschauer zu.
„Polygnotisch“, pflegte man früher zu sagen; aber eine solche
Lockerung der Gelenke, ein so freies Bewegungsspiel und rund emp-
fundene Formen überall gehen nicht unerheblich über die Errungen-
schaften der Frühklassik mit ihrer noch befangenen und harten
Bildung hinaus. Ich behaupte, daß eine im Dreiviertel gesehene Ge-
stalt wie diejenige des Mannes mit dem abwärts gerichteten Speer
erst im Bereich des späten fünften oder des vierten Jahrhunderts
ihresgleichen habe1. Das Ganze aber — der Leichenhaufe im Vorder-
grund, und die von hinten herantretende Schar der Männer, die
an dem Morden beteiligt sind — stellt ein in sich geschlossenes, per-
spektivisch überzeugendes Raumbild dar. Auch wenn wir es nicht
mit der Verballhornung einer bestimmten malerischen Vorlage von
ganz anderer Qualität zu tun haben sollten: die Linien eines Kom-
positionsverfahrens, das die griechische Kunst erst nach ihrem völli-
gen Bruch mit archaischen Bindungen der Welt geschenkt hat,
schimmern selbst in dieser naiven Aufmachung noch deutlich hin-
durch. Und es ist nicht die einzige Probe dreidimensionaler Dar-
stellung im Bildervorrat unserer Novilara-Steine2. Hinzu kommt

1 Siehe die treffenden Bemerkungen zur Geschichte des Dreiviertel-
profils und anderer Verkürzungen in der zuwenig beachteten Tübinger Disser-
tation von E. Feihl, DieFicoronischeCistau. Polygnot (1913) 30ff.
2 Auch die Tierkampf paare derselben Stele wollen so gesehen sein; der
Bär jedenfalls steht weiter zurück, und der Stoß des Jägers ist nicht nur nach
oben, sondern zugleich nach der Tiefe gerichtet. Was wir meinen, veranschau-
 
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