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Nikolaus [Hrsg.]; Koch, Josef [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1936/37, 2. Abhandlung): Vier Predigten im Geiste Eckharts — Heidelberg, 1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.41989#0052
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52

Josef Koch Cusanus-Texte: I. Predigten 2/5.

des Papstes nicht im Unklaren ist. Er folgt bei seiner Rechtferti-
gung dem von Eckhart und vor diesem von Augustinus einge-
schlagenen Wege, die Fragen, auf die Eckharts Sätze die Antwort
sind, als sinnlos darzulegen* 1. Wer z. B. fragt: wo war Gott, bevor
er die Welt erschuf ?, fragt etwas Widersinniges. Denn er setzt
voraus, daß es Ort und Zeit gab, als sie noch nicht da waren. Wer
also auf diese Frage antwortete, daß Gott überhaupt nicht 'war’
— denn 'war’ ist eine Aussage über die Existenz in der Zeit —,
der gäbe eine sinngemäße Antwort. Denselben Widerspruch ent-
hält auch die Frage: warum erschuf Gott die Welt nicht früher?
Denn früher und später sind zeitliche Unterschiede; so konnte er
nicht früher schaffen. Und wenn man nun fragt: war also die Welt
von ewig (ab aeterno) ?, so kann man auf eine Weise antworten,
daß Gott und die Welt in demselben Jetzt der Ewigkeit waren.
Denn die Welt fing nicht in einem andern Jetzt der Ewigkeit an,
sondern in demselben, in dem Gott ist. Denn dieses Jetzt ist mit
Gott identisch. Bemerkenswert an dieser Verteidigung Eckharts
ist, daß Cusanus in dem letzten Satz statt des an der Johannes-
stelle gebrauchten „in primo nunc aeternitatis“ die Formulierung
der Genesisauslegung „in eodem nunc2“ anwendet. Vielleicht war
ihm der Gebrauch von „primum“ trotz des bald folgenden „nunc
primum et unicum aeternitatis“ unbehaglich, weil das Zahlwort
mißdeutet werden konnte. Nun gibt er dem „ab aeterno“ noch
eine andere Deutung, die den Satz: „concedi potest, quod mundus
fuit ab aeterno“ allen Angriffen entrücken soll: Gott ist das
aeternum und von ihm ist die Zeit, und so ist die Welt zeitlich
und doch ah aeterno, d. h. von Gott. Nur muß man sich hüten,
hier die Phantasie arbeiten zu lassen; sonst kommt man zu der
Vorstellung, zwischen der Ewigkeit und der Zeit liege noch eine
gewisse Frist. Wie es nämlich zwischen dem Sein Gottes und dem
der Welt oder der unendlichen Größe Gottes und der endlichen
Größe der Welt kein Mittelding geben kann, so auch nicht zwischen
der Ewigkeit und der Zeit. Cusanus schließt die Gedankengänge
wieder mit der Feststellung, daß schon die Frage: war die Welt

Satz der Apologia 25, 9ff.: ,,sed optavit, quod libri sui (scilicet Eckardi) amo-
verentur de locis publicis, quia vulgus non est aptus ad ea, quae . . .
intermiscet“ etc. Daß Cusanus die Lehre Eckharts als durchaus vertretbar
ansah, ergibt sich aus der Predigt ,,Ubi est“.
1 Vgl. weiter unten S. 106 ff.
2 Vgl. Archiv a. a. O. 553, 14.
 
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