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Josef Koch Cusanus-Texte: I. Predigten 2/5.
Sein der Zeit fundiert in zwiefacher Weise im ewigen Jetzt: ein-
mal, insofern Gott wie der Schöpfer der Dinge, so auch der Schöpfer
der Zeit ist. Er läßt sie, wie Boethius sagt, aus der Ewigkeit
fließen, und sie fließt auch wieder in die Ewigkeit, insofern auch
das Vergangene Gott gegenwärtig bleibt. Das Jetzt des Augen-
blicks aber ist das, wodurch die Zeit am Sein des ewigen Jetzt
teilhat; so kann Cusanus wohl sagen, das mit Gott identische
ewige Jetzt sei das Sein der Zeit; nur muß man auch hier das ,,in-
contracte“ hinzufügen, will man alle Mißverständnisse vermeiden.
So gewiß Gottes Sein in allem Seienden ist, ohne auf dieses oder
jenes Sein eingeschränkt zu sein, so gewiß ist das Jetzt der Ewig-
keit das eigentliche innerste Sein des Jetzt des Augenblicks, ohne
aber zu diesem eingeschränkt zu sein. Darum ist die andere Aus-
sage, daß das Sein der Zeit im Jetzt der Ewigkeit sei, in etwa ver-
ständlicher.
Wie Gott als die Ewigkeit der Ort der Zeit ist, so als die Ruhe
der Ort der Bewegung, als die Einheit der Ort aller zählbaren Dinge,
als die Wahrheit der Ort des forschenden Verstandes. Was Cu-
sanus hier im einzelnen ausführt, bedarf weniger der Erklärung,
weil es sich durchweg um Gedanken handelt, die er in ähnlicher
Form in seinem Hauptwerk ausgesprochen hat. Er deutet sie auch
mehr an, als daß er sie ausführt, weil seine Gedanken schon zu
dem Hauptanliegen dieses ersten Predigtteils eilen: Jesus Christus
soll als der Ort erwiesen werden, an dem alle Bewegungen der
Natur und Gnade zur Ruhe kommen (n. 10—14)h
Da diese Ausführungen in ihrem ersten Teil eine Deutung des
auch für die Predigt „Dies sanctificatus“ grundlegenden Wortes
Jesu: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh. 14, 6)
sind, können wir hier zunächst auf die Erläuterungen von E. Hoff-
mann1 2 zu der genannten Predigt verweisen. Sie treffen bei der
vorliegenden Predigt um so mehr zu, als die in „Dies sanctificatus“
nur angedeuteten Denkmotive sich hier ganz unverhüllt geltend
machen: Der ganze Abschnitt ist ein beredter Zeuge für den christ-
lichen Humanismus des Cusanus.
Sehr bedeutsam ist der Übergang in n. 9. Dem drohenden Ein-
wand, die vorhergehende Seinsspekulation müsse philosophisch zum
1 Wie wenig Verständnis die Exzerptoren für den Aufbau der Predigt
hatten, ergibt sich daraus, daß ihr erstes Exzerpt bereits gegen Ende von n. 8
(sieh oben S. 69) abbricht, und daß sie von n. 10—14, also dem Hauptpunkt
des ersten Teiles, kein Wort bringen. 2 Vgl. „Dies sanctificatus“ S. 44ff.
Josef Koch Cusanus-Texte: I. Predigten 2/5.
Sein der Zeit fundiert in zwiefacher Weise im ewigen Jetzt: ein-
mal, insofern Gott wie der Schöpfer der Dinge, so auch der Schöpfer
der Zeit ist. Er läßt sie, wie Boethius sagt, aus der Ewigkeit
fließen, und sie fließt auch wieder in die Ewigkeit, insofern auch
das Vergangene Gott gegenwärtig bleibt. Das Jetzt des Augen-
blicks aber ist das, wodurch die Zeit am Sein des ewigen Jetzt
teilhat; so kann Cusanus wohl sagen, das mit Gott identische
ewige Jetzt sei das Sein der Zeit; nur muß man auch hier das ,,in-
contracte“ hinzufügen, will man alle Mißverständnisse vermeiden.
So gewiß Gottes Sein in allem Seienden ist, ohne auf dieses oder
jenes Sein eingeschränkt zu sein, so gewiß ist das Jetzt der Ewig-
keit das eigentliche innerste Sein des Jetzt des Augenblicks, ohne
aber zu diesem eingeschränkt zu sein. Darum ist die andere Aus-
sage, daß das Sein der Zeit im Jetzt der Ewigkeit sei, in etwa ver-
ständlicher.
Wie Gott als die Ewigkeit der Ort der Zeit ist, so als die Ruhe
der Ort der Bewegung, als die Einheit der Ort aller zählbaren Dinge,
als die Wahrheit der Ort des forschenden Verstandes. Was Cu-
sanus hier im einzelnen ausführt, bedarf weniger der Erklärung,
weil es sich durchweg um Gedanken handelt, die er in ähnlicher
Form in seinem Hauptwerk ausgesprochen hat. Er deutet sie auch
mehr an, als daß er sie ausführt, weil seine Gedanken schon zu
dem Hauptanliegen dieses ersten Predigtteils eilen: Jesus Christus
soll als der Ort erwiesen werden, an dem alle Bewegungen der
Natur und Gnade zur Ruhe kommen (n. 10—14)h
Da diese Ausführungen in ihrem ersten Teil eine Deutung des
auch für die Predigt „Dies sanctificatus“ grundlegenden Wortes
Jesu: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh. 14, 6)
sind, können wir hier zunächst auf die Erläuterungen von E. Hoff-
mann1 2 zu der genannten Predigt verweisen. Sie treffen bei der
vorliegenden Predigt um so mehr zu, als die in „Dies sanctificatus“
nur angedeuteten Denkmotive sich hier ganz unverhüllt geltend
machen: Der ganze Abschnitt ist ein beredter Zeuge für den christ-
lichen Humanismus des Cusanus.
Sehr bedeutsam ist der Übergang in n. 9. Dem drohenden Ein-
wand, die vorhergehende Seinsspekulation müsse philosophisch zum
1 Wie wenig Verständnis die Exzerptoren für den Aufbau der Predigt
hatten, ergibt sich daraus, daß ihr erstes Exzerpt bereits gegen Ende von n. 8
(sieh oben S. 69) abbricht, und daß sie von n. 10—14, also dem Hauptpunkt
des ersten Teiles, kein Wort bringen. 2 Vgl. „Dies sanctificatus“ S. 44ff.