Metadaten

Winkler, Emil; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1937/38, 1. Abhandlung): Zur Geschichte des Begriffs "Comédie" in Frankreich — Heidelberg, 1937

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41993#0012
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4

Emil Winkler:

sich nährt, die volkstümliche Posse, die Farce ist. Dies sei der große
Irrtum, der große Widerspruch in Boileaus Theorie des Komischen
gewesen.
Es stellt sich aber die Frage, ob ein solches Urteil nicht das
Wesentliche verwischt und Einheitlichkeit sieht, wo im französi-
schen Denken und Kunstempfinden langer Zeiten zwei Dinge
nebeneinanderlagen. Noch heute hat das Wort Comedie zwei Be-
deutungen: die Bedeutung „Lustspiel“, piece de theätre qui excite le
rire, aber auch die Bedeutung „Theaterstück“, „Theater“ schlecht-
weg. Wie im Widerstreit der beiden Bedeutungen eine Jahrhunderte
dauernde Spannung sich ausdrückt, das soll hier in einigen flüchti-
gen Strichen aufgezeigt werden. Es spielt sich in Frankreich lange
Zeit hindurch ein deutlicher Kampf um die Würde des Lachens auf
dem Theater ab. Das Lachen hat die naturhafte Unmittelbarkeit
für sich. Auf der andern Seite aber stehen keineswegs bloß Pedanten,
gelehrte Theoretiker und griesgrämige Steifheitsapostel. Die Trieb-
kräfte des Widerstreites wirken von tiefer her als aus bloßer literari-
scher Tradition — hie Plautus, dort Terenz — oder aus bloßer
sozialer Schichtung — hier niederes Volk, dort vornehme Gesell-
schaft. Es könnte vielmehr sein, daß da die Ansprüche zweier ver-
schiedener Mischungselemente im Franzosentum auseinanderklaff-
ten, die einander lange suchten, die Vereinigung aber erst spät oder
überhaupt nicht gefunden haben.
Im Mittelalter hatte sich der Begriff der Komödie trotz gewisser
Schultraditionen, die besonders Terenz lebendig erhielten1, vom
antiken Begriff weitgehend gelöst2. Daß Komödie eine dramatische
Dichtungsgattung war, war vergessen oder als unwesentlich ganz
und gar in den Hintergrund getreten3. Man braucht bloß an Dante
zu denken. Mittelalterliche Wörterbücher übersetzen comedia ein-
fach mit changon de poete, comicus dementsprechend mit poete4.
In der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts nennt der Übersetzer Jean
Lefevre comedies mitten unter lyrischen Dichtungsgattungen
(Tobler-Lommatzsch, s. v. comedie); und noch 1511 läßt Jean
1 G. Cohen, La comedie latine en France au 12e siede. Paris 1931.
2 W. Cloetta, Beiträge zur Literaturgeschichte des Mittelalters und der
Renaissance. I. Komödie und Tragödie im Mittelalter. Halle 1890.
3 Cloetta, S. 27, 49.
4 Recueil general des Lexiques franpais du moyen-äge I, p. p. M. Ro-
ques, Paris 1936, S. 12, 128, 287.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften