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Emil Winkler:
die Art, wie kurz nach dem Tode Corneilles ein Nekrolog im
Mercure galant (Oktober 1684) das Verdienst des eben Verstorbenen
bestimmte, vielleicht noch zutreffender. Im Blickfeld steht hier
offenbar die Tragikomödie Hardys, das Schauspiel, das bei Cor-
neilles Auftreten die höhere Bühne beherrschte. Corneille hätte
nach diesem Urteil die Komödie aus den Fesseln des Ernstes(!) be-
freit, sie zum Lustspiel gemacht: «Vheureux talent qriil avoit
pour la poesie parut avec beaacoap (Tavantage des la premiere piece
qriil donna sous le titre de Meilte. La nouveaute de ses incidents1
qui commencerent ä tirer la comedie de ce serieux obscur oii eile etoit
enfoncee, y fit courir tout Paris ... Ce comique aise . . avoit peu de
rapport avec la rudesse des vers {d'Alexandre Hardy)1.»
Die glückliche Schöpfung Corneilles gab der Heiterkeit auf
der französischen Bühne neue Würde. So wenig die Melite aus-
gelassenes Lachen auszulösen vermag, sie war doch ein echtes und
rechtes Lustspiel. Jahrhunderte alte Theorie schien überwunden
von lebendiger künstlerischer Schöpferkraft.
Corneilles weitere Lustspiele setzten den Weg fort2. Ihr un-
mittelbarer Einfluß scheint aber gering gewesen zu sein. Die Co-
medie gerät in das Fahrwasser der Spanier und nähert sich dann
von neuem der Posse3. Aber die Theorie, Ausdruck künstlerischen
Bedürfnisses nach ernstem, wenngleich untragischem Bühnenspiel,
brach mit neuer Gewalt durch. Corneille selbst, dessen Genius
sie einst wie unwissentlich überwunden hatte, sah sich 1650, 20 Jahre
nach seiner Melite, zu ihr zurückgeführt, als er seinen Don Sancho
erdachte. Wie mochte ein ernstes Stück zu benennen sein, das
unter Königen und hochgestellten Personen spielt, doch nicht
Furcht und Mitleid erregt ? Ist es eine Tragödie oder eine Komödie ?
Corneille neigt dazu, das Stück Comedie zu nennen. Aber war
die komische Bühne, die Corneille kannte, nicht eindeutig auf
das Lachen gestellt ? In dem Zwiespalt siegt bei Corneille jetzt
die Theorie. Das Lachen, so wird sich Corneille bewußt, ist
gar kein Wesenselement der Komödie. Corneille beruft sich auf
den Holländer Heinsius: «Ce riest pas que je riaye hesite quelque
temps (den Don Sanche als comedie zu bezeichnen), sur ce que je
riy voyois rien qui put emouvoir ä rire. Cet agrement a ete jusqriici
tellement de la pratique(l) de la comedie, que beaucoup ont crü qriil
1 CEuvres de Corneille, Ausgabe Marty-Laveaux, Bd. I. S. 131.
2 Vgl. etwa Rivaille, a. a. O., S. 384.
3 Rivaille, a. a. O., S. 769; Lintilhac, a. a. O., III, S. 150.
Emil Winkler:
die Art, wie kurz nach dem Tode Corneilles ein Nekrolog im
Mercure galant (Oktober 1684) das Verdienst des eben Verstorbenen
bestimmte, vielleicht noch zutreffender. Im Blickfeld steht hier
offenbar die Tragikomödie Hardys, das Schauspiel, das bei Cor-
neilles Auftreten die höhere Bühne beherrschte. Corneille hätte
nach diesem Urteil die Komödie aus den Fesseln des Ernstes(!) be-
freit, sie zum Lustspiel gemacht: «Vheureux talent qriil avoit
pour la poesie parut avec beaacoap (Tavantage des la premiere piece
qriil donna sous le titre de Meilte. La nouveaute de ses incidents1
qui commencerent ä tirer la comedie de ce serieux obscur oii eile etoit
enfoncee, y fit courir tout Paris ... Ce comique aise . . avoit peu de
rapport avec la rudesse des vers {d'Alexandre Hardy)1.»
Die glückliche Schöpfung Corneilles gab der Heiterkeit auf
der französischen Bühne neue Würde. So wenig die Melite aus-
gelassenes Lachen auszulösen vermag, sie war doch ein echtes und
rechtes Lustspiel. Jahrhunderte alte Theorie schien überwunden
von lebendiger künstlerischer Schöpferkraft.
Corneilles weitere Lustspiele setzten den Weg fort2. Ihr un-
mittelbarer Einfluß scheint aber gering gewesen zu sein. Die Co-
medie gerät in das Fahrwasser der Spanier und nähert sich dann
von neuem der Posse3. Aber die Theorie, Ausdruck künstlerischen
Bedürfnisses nach ernstem, wenngleich untragischem Bühnenspiel,
brach mit neuer Gewalt durch. Corneille selbst, dessen Genius
sie einst wie unwissentlich überwunden hatte, sah sich 1650, 20 Jahre
nach seiner Melite, zu ihr zurückgeführt, als er seinen Don Sancho
erdachte. Wie mochte ein ernstes Stück zu benennen sein, das
unter Königen und hochgestellten Personen spielt, doch nicht
Furcht und Mitleid erregt ? Ist es eine Tragödie oder eine Komödie ?
Corneille neigt dazu, das Stück Comedie zu nennen. Aber war
die komische Bühne, die Corneille kannte, nicht eindeutig auf
das Lachen gestellt ? In dem Zwiespalt siegt bei Corneille jetzt
die Theorie. Das Lachen, so wird sich Corneille bewußt, ist
gar kein Wesenselement der Komödie. Corneille beruft sich auf
den Holländer Heinsius: «Ce riest pas que je riaye hesite quelque
temps (den Don Sanche als comedie zu bezeichnen), sur ce que je
riy voyois rien qui put emouvoir ä rire. Cet agrement a ete jusqriici
tellement de la pratique(l) de la comedie, que beaucoup ont crü qriil
1 CEuvres de Corneille, Ausgabe Marty-Laveaux, Bd. I. S. 131.
2 Vgl. etwa Rivaille, a. a. O., S. 384.
3 Rivaille, a. a. O., S. 769; Lintilhac, a. a. O., III, S. 150.